Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Beatenberg, 20. Juni.

Heute muss in Berlin die Entscheidung gefallen sein. Die Nachrichten kommen spät hier herauf, aber man fühlt die Erregung, die die Welt durchzittert bis in diese Bergeinsamkeit hinein.

Diese acht Tage vom 16. bis 23. Juni 1919 sind das Widerspiel der dreizehn Tage vom Sommer 1914. Ein Vergleich dieser zwei Perioden sollte für alle Zeiten das warnende Beispiel für die Völker bilden. Die Geschichte dieser beiden Schicksalsperioden sollte eingefügt werden in die Schullesebücher der ganzen Welt. Ein besseres Mittel für die Erziehung zum Pazifismus gibt es nicht.

In Berlin und Weimar berät man, ob man den Friedensvertrag unterzeichnen soll. Die Friedensdelegation berät, das Reichsministerium berät, die Fraktionen beraten, die Nationalversammlung wird sich aussprechen, die Wirtschaftsverbände beraten, die Finanzsachverständigen beraten, die Provinzialverbände beraten, die Regierungen der Einzelstaaten beraten, alle Zeitungen erörtern die Frage über das Wie der Entscheidung. Wenn man nur die Frage, ob Krieg gemacht werden soll, im Juli-August 1914 so eingehend beraten hätte, wie man jetzt über die Annahme oder Ablehnung des Friedensvertrags berät, sähe die Welt heute anders aus. Damals handelte man schneidig und «leichten Herzens» und heute . . . Ein schwerer Gang, der Gang nach Versailles. Man wird ihn gehen müssen. Vergebt dabei den Fluch nicht für die Verbrecher vom Juli 19141