Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 22. Februar.

Im englischen Unterhaus fand vorgestern eine Pazifistendebatte statt. Die Deputierten Ponsoby, Trevelyan und Snowden verlangten, dass über den Frieden verhandelt werden solle. Der Inhalt ihrer Reden wird von Reuter nicht gemeldet, aber aus der mitgeteilten Erwiderung des Ministers Bonar Law kann man schliessen, was sie gesagt haben. Danach scheinen die englischen Pazifisten die bekannten Friedensbedingungen in der an Wilson gerichteten Note der Entente kritisiert zu haben. Bonar Law meint, dass diese nicht unvernünftig waren! Bemerkenswert ist die Äusserung des Ministers:

«Wir kämpfen nicht um Gebietszuwaschs, noch um einen ruhmvollen Sieg zu erlangen, der das Ansehen unserer Heere vermehren würde.»

Man kann gespannt den ausführlichen Berichten über diese Debatte entgegensehen. Es ist immerhin bemerkenswert, dass mitten in dieser höchsten Erbitterung sich im englischen Parlament doch noch Männer finden, die den Mut haben, zur Vernunft zu mahnen.

Auch im preußischen Abgeordnetenhaus fand gestern eine Kriegszieldebatte statt. Ein Zentrumsabgeordneter namens Bell hielt da eine nach dem telegraphierten Auszug höchst merkwürdige Rede. Zunächst sprach er von der berühmten und übermütigen Ablehnung unsres hochherzigen Friedensangebots. Es wäre eine ergiebige Steuerquelle, wenn der Reichsschatzsekretär eine hohe Abgabe auf den Verbrauch klischeeartiger Adjektiva legen wollte. Der uns «ruchlos aufgedrungene» Krieg hat jetzt ein Pendant in dem «hochherzigen» Friedensangebot erhalten. Wie kann man sich nur selbst so ein Epitheton ornans beilegen, ohne vor Scham zu erröten. Würde es einem einfallen, von sich etwa so zu sprechen: Ich bildhübscher Mensch, ich edeldenkender Mann, ich genialer Künstler. Diese ausschmückenden Adjektiva überlässt man im gewöhnlichen Leben andern. Welche aufgeblasene Selbstberäucherung gehört dazu, immer von einer eignen hochherzigen Handlung zu sprechen. Und solche Phrasen, einmal in die Welt gesetzt, werden gedankenlos vom ganzen Volk nachgeplappert. Ich vermag auch gar nicht, einzusehen, was an dem Friedensangebot vom 13. Dezember 1916 «hochherzig» war, zumal man ja gar nicht weiss, was hätte angeboten werden sollen. Das deutsche Friedensangebot war ebensowenig «hochherzig» wie die Antwort darauf eine «Ablehnung», wie diese «brutal» und «übermütig» war. Wäre das Friedensangebot ohne Siegergeste und mit greifbaren Unterlagen abgegeben worden, so hätte auch die Antwort anders ausgesehen.

Die Rede dieses Bell ist überhaupt ein Muster. Das er Garantien verlangt, damit eine Wiederholung solcher «schnöder Überfälle» vermieden werde, muss man bei der heute in Deutschland noch herrschenden Unkenntnis über den Anfang des Kriegs durchgehen lassen. Mich muten derartige Redensarten an wie das Gestammel von Kindern über die Erschaffung der Welt. Aber Herr Bell leistet sich ein Wort, das wohl in der Geschichte stehen bleiben wird. Er ruft: «Hand weg von Belgien!» So ruft man, wenn man bei jemandem die Absicht vermutet, er wolle ein rechtmässiges erworbenes Eigentum fortnehmen. In dem Augenblick, wo Deutschlands Erobererhand auf dem mitten im Frieden überfallenen Land schwer lastet, den andern zurufen: Hand weg!, das ist ein Gipfel der Verirrung und Verblendung.

Dem Reichstag, der morgen Zusammentritt, wird ein neuer Kriegskostenkredit im Betrag von 15 Milliarden zur Bewilligung vorgelegt werden. Nach dessen Bewilligung werden 79 Milliarden diesem glänzenden Unternehmen gewidmet sein! Neunundsiebzig Milliarden! Und noch kein Ende!

Im preußischen Abgeordnetenhaus sagte gestern der nationalliberale Abgeordnete Furhmann:

«Ein Staatsmann, der ohne BrieY-Longwy, Belgien, Kurland und litauisches Land aus dem Krieg zurückkehren würde, müsste in der Geschichte der Totengräber von Deutschlands Macht und Grösse genannt werden!»

Irrsinniger! Die blödsinnige Gier nach Länderraub ist es, die diesen Krieg ins Endlose verlängert und damit Deutschlands Verarmung bewirkt, das Volk entartet, seine Jugend tötet, seinen Nachwuchs vermindert und verschlechtert. Ihr Länder räuber alle, ihr Kilometritis-Besessenen, ihr seid die Totengräber Deutschlands und der Deutschen! 

Ein trauriger Jahrestag. Heute vor einem Jahr begann die Schlacht von Verdun!