Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 8. Dezember.

Das französische Gelbbuch enthält eine eigentümliche Vorgeschichte des Krieges. Dabei ist von einem «geheimen, deutschen Bericht» die Rede, von dem das französische Kriegsministerium im März 1913 «aus sicherer Quelle» Kenntnis erhielt.

Man kennt die Quelle nicht, und nicht die Stelle, die den Bericht erstattet hat.

Nach der Übersetzung im Berner «Bund» beharrt jener Bericht auf der Notwendigkeit, den Krieg vorzubereiten, ohne Misstrauen zu erwecken, aber die Geschäfte so zu führen, dass unter der Bürde von ruinösen Rüstungen und einer gespannten politischen Lage die deutsche öffentliche Meinung «ein Losschlagen wie eine Erlösung empfinden würde», der dann lange Jahrzehnte der Wohlfahrt folgen müssten wie nach 1870. Man studierte die Mittel, um Erhebungen in Ägypten, Tunis, Algier und Marokko ins Leben zu rufen, und stellte den Grundsatz auf, «dass die kleinen Staaten gezwungen werden müssten, Deutschland Folge zu leisten, oder von ihm gemassregelt zu werden». Man spielte hierbei speziell auf Belgien und Holland an, die mit Namen genannt wurden. Zum Schlusse schrieb dieses Dokument «ein kurzbefristetes Ultimatum, gefolgt von sofortigem Truppeneinmarsch» vor. Dieses Ultimatum, sagte der Bericht, «wird es erlauben, unsere Aktion genügend vom Standpunkte des Völkerrechts aus zu rechtfertigen.»

Das ist alldeutsche Terminologie. Es ist möglich, dass ein derartiger Bericht von irgendeinem der alldeutschen Verbände oder einem der alldeutschen Führer der Regierung überreicht wurde. Es ist nichts Geheimes darin, nichts was in der alldeutschen Literatur und Presse nicht offen gesagt worden wäre. Es fragt sich nur, wie weit diese Anschauungen die Regierung schliesslich beeinflusst haben. Die Redensart, dass das alldeutsche Kriegsgeschrei von einer einflusslosen kleinen Gruppe ausging, müssen wir jedenfalls nachdrücklich bekämpfen, so einflusslos scheint diese Gruppe doch nicht gewesen zu sein. Sonst wäre es zu diesem Krieg nicht gekommen.

Die Angelegenheit mit der «Friedens-Warte» macht mir schweren Kummer. Ich empfinde vor allen Dingen die Ungerechtigkeit, mit der alle Artikel, sogar die harmlosesten und sogar jene, die vorher anstandslos in deutschen Blättern erschienen waren, abgelehnt wurden. Das bedeutet direkt die Unterdrückung des Blattes. Es künftig in der Schweiz erscheinen zu lassen, wie mir nahe gelegt wird, vermag ich mich nicht zu entschliessen, weil das wie offene Feindseligkeit ausgelegt werden würde. Und ich will bei aller Gegnerschaft keine Feindseligkeit, denn ich will mir die Möglichkeit nicht rauben, an der künftigen Gestaltung wirksam mitarbeiten zu können. Dies wird nur in Wien und Berlin möglich sein. Eingehen möchte ich das Blatt auch nicht lassen. Hiezu kommt noch der schwierige Postverkehr mit Berlin (ein Brief braucht 6—8 Tage) und die Lässigkeit, mit der die Sache seitens der Buchdruckerei betrieben wird.

Sehr betrübte mich gestern die Rücksendung eines, von der Redaktion des «Monistischen Jahrhundert» von mir erbetenen Artikels durch Ostwald persönlich. Ich hätte mich dabei im Ton vergriffen. Davon konnte ich mich bei nochmaliger Durchsicht nicht überzeugen. Es ist Gegnerschaft, die Ostwald veranlasste, den Artikel zurückzuweisen.

So erfährt man überall nur Schmerzliches und Kränkendes. Die Aussicht, dass dieser Zustand noch lange, sehr lange andauern muss, bringt mich zur Verzweiflung. Es ist keine Lust zu leben.

Die amerikanischen Blätter betonen noch immer, der deutsche Militarismus müsse vernichtet, das deutsche Volk dürfe aber nicht vernichtet werden. Das geht leider nicht. Im Krieg ist Volk und Militarismus eins. Im Krieg kann nur beides vernichtet werden oder siegen. Der Militarismus muss im Frieden überwunden werden. Teils durch die innere Politik, teils durch Einflüsse von aussen.