Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Montreux, 6. Mai.

Heute wird nun die Antwortnote der deutschen Regierung an die Vereinigten Staaten veröffentlicht. Ich habe nicht das Gefühl, als ob dadurch die schwere Spannung gelöst erscheint. Es ist möglich, dass die Amerikaner sich damit befriedigt erachten. Aber ebenso möglich, dass sie plötzlich die diplomatischen Beziehungen abbrechen. Meiner Ansicht nach wäre es am besten gewesen, wenn Deutschland verlangt hätte, die Fragen einem Schiedsgericht zu überantworten, und sich bereit erklärt hätte, bis zu dessen Entscheidung die Forderungen der Vereinigten Staaten zu erfüllen. Das hätte die Gefahr eines Kriegs mit Amerika beseitigt und einen ehrenvollen Rückzug ermöglicht.

Eine Redewendung in jener Antwortnote hat mich aber besonders sympathisch berührt. Es ist der Einschiebesatz «solange der Krieg noch dauert». Es wirkt wie ein Riss in schweres Gewölk, der erkennen lässt, dass oberhalb der dräuenden Finsternis doch noch die alte Sonne wandelt. «Solange der Krieg noch dauert». Es gibt also noch die Möglichkeit, dass alles wieder einmal zur Besinnung zurückkehren wird. Fast hat man verlernt, es zu glauben.

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Vieles hat sich in den zwölf Tagen, während welcher ich die Registrierung unterliess, zugetragen, das wohl wert gewesen wäre, festgehalten zu werden. Der Aufstand in Irland und seine Niederwerfung. Die Annahme der allgemeinen Wehrpflicht in England. Zeppelinraids. Kut-el-Amara! Verdun! Deutsche Parlamentarier in Konstantinopel. Verbrüderung mit den Türken. Die Sobranje auf Reisen. Wieder Verbrüderung. Nichtbeachtung der Tatsache, dass Vertreter des bulgarischen Parlaments in Wien als Vertreter des bulgarischen Volks gefeiert werden können, ohne dass man die Frage nach den Vertretern des österreichischen Parlaments stellen durfte.

Diese Verschiebung des politischen Schwergewichts Deutschlands nach dem Osten ist wohl die letzte aber direkte Folge der deutschen Auskreisung, ist die Erhebung der Politik der Deutschen Bank zur Politik des deutschen Reichs. Man folgt den Spuren der Bagdadbahn, die das deutsche Kapital eingeschlagen hat, und die man jetzt mit der Liebe zu den Nachfolgern des Khalifen pflastert. Es ist eine falsche Richtung, die man hier wandelt. Mit der Hälfte des Aufwands von Liebe und Wohlwollen, das jetzt nach dem Osten abgegeben wird, hätte man den Westen gewinnen können. Gibt es denn keinen Einsichtsvollen in Deutschland, der vor dieser Fehlrichtung warnt? Soll das Knackfussbild umgezeichnet werden, der Erzengel den Buddha decken, mit dem Schwert gegen die Europäer dräuend und mit der Unterschrift: «Völker Asiens wahret Eure heiligsten Güter»?