Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

15. Oktober 1914.

Der Militarismus kann auch nicht von aussen her vernichtet werden. Im Gegenteil: jede Aktion von aussen erweckt ihn, stärkt ihn, lässt ihn notwendig erscheinen. Der Kampf gegen ihn kann nur im Innern geführt werden. Es ist möglich, dass die allgemeine Situation nach einem Kriege diesen Kampf erleichtert. Nach diesem Kriege werden die Bedingungen dazu besonders günstig sein. Entweder er wird mit einer allgemeinen Erschöpfung enden, dann wird der Militarismus an sich bankrott sein, oder der siegende Teil wird einen Frieden diktieren, der ihm auf Jahrzehnte hinaus die Sicherheit bietet. Der Militarismus wird dann ohne Aufgabe dastehen. Er konnte nach 1870 und 1871 nur so anwachsen, weil man stündlich gefasst sein musste, den Krieg nochmals zu führen. Jetzt, nach dieser Vernichtung, wird man den Frieden dauernd gesichert haben wollen, das Bewusstsein, das bis jetzt gefehlt hat, dass jeder Krieg in Europa zu einem Weltkrieg ausarten müsse, der feste Wille, dieses Schauspiel nicht noch einmal zu erleben, das Risiko nicht noch einmal einzugehen, wird den Militarismus schwächen. Andrerseits wird die Einheit, die Deutschland im Kriege gezeigt hat, eine Stärkung der Demokratie herbeiführen. Sie ist es, sie allein, die den Militarismus überwinden wird.