Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 17. Mai.

Das Wort «unannehmbar» klingt von allen Lippen, schreit aus jeder Zeile, wird in tausenden und tausenden Protestversammlungen im Reiche wiederholt. Die Sitzung der Nationalversammlung in der Aula der Berliner Universität sprach ihre Entrüstung aus. Nur die Unabhängigen, die es übrigens an einer Kritik nicht fehlen lassen, sind für die Unterzeichnung, da sie die Revision des Vertrags von der Revolution erwarten. Alle anderen Parteien sind für Ablehnung. Je mehr Einzelheiten man hört, um so mehr befestigt sich die Anschauung, dass hier ein Wahnsinnsakt vorliegt. Das ist ein Werk, von Besessenen geschaffen. Und man hört fortwährend neue Einzelheiten. Der Vertrag ist unerschöpflich. Das Bild wird immer klarer, umrissener: eine völlige Versklavung ist beabsichtigt. Die Einsperrung eines Millionenvolkes in ein Strafgefängnis, das ist das Problem. Der Pariser Fünfmännerrat, der Deutschlands gesamtes staatliches Leben überwachen soll, und dem das Recht zusteht, Steuern zu erhöhen, vorgesehene Ausgaben abzusetzen, kurz das gesamte Innenleben zu kontrollieren wie das eines Gefangenen, ist die Zuchthausaufsicht.

Dieser Vertrag will ebenso die psychologischen und die wirtschaftlichen Gesetze umstoßen wie ein Projekt für ein Perpetuum mobile die physikalischen. Er ist ebenso Narrenwerk wie jenes.

Es ist misslich, dass man sich bei der Beurteilung dieser Friedensbedingungen in einer Gesellschaft befindet, die man bisher gemieden und weiter gern meiden möchte. Alle Kriegsheber und Annexionisten stimmen natürlich mit uns. Das ist das Traurige, dass jene sich überhaupt berufen fühlen, mitzureden. Die früher ihre Raubpläne nicht weit genug ausdehnen konnten, die England, Frankreich, Belgien, Italien und Serbien nicht hart genug «strafen» wollten, die in Brest und Bukarest das Haarsträubendste an Vergewaltigung geleistet und die Rumänen trösten wollten mit der Schwere des Friedens, den man für den Westen vorhabe, die schreien heute am lautesten, gebärden sich am entrüsteten. Damit schaden sie der Sache des deutschen Volkes ungeheuerlich. Das Recht zu protestieren, haben jetzt nur wir, die wir gegen den eigenen Gewaltwahn protestiert haben. Die anderen haben zu schweigen und in der Dunkelheit zu verschwinden; denn sie sind die Urheber dieser Schmach, die dem deutschen Volk angetan wird.

Und Wilson?

Ich glaube, — es tun es ja schon vernünftige Engländer und Franzosen — man kann jetzt offen von seinem Bankrott sprechen. Von seinem? Von unserem!

Wenn es dem mit allen Vollmachten ausgestalteten Oberhaupt des mächtigsten Volkes auf Erden nicht gelungen ist, die von ihm erkannte und feierlich verkündete Wahrheit zu verwirklichen, nicht einmal jetzt, nach diesem Krieg, zu verwirklichen, dann kann die bürgerliche Welt den Friedensgedanken überhaupt nicht mehr zum Sieg bringen. Dann ist alles Tun nach dieser Richtung umsonst. Dann hat die Menschheit nur noch die eine Hoffnung, dass der siegreiche Sozialismus sie erretten wird.

Ich glaube, dieser Lehre werden wir uns nicht verschließen können. Umsoweniger, als wir in ihr die einzige Möglichkeit zur Überwindung und Revision dieses Schandvertrags sehen, der dem deutschen Volk hier aufgezwungen werden soll.