Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 30. Oktober.

Der Reichstag hat in seiner Sitzung vom 27. Oktober neuerdings 12 Milliarden für Kriegskredite bewilligt. Damit beläuft sich der Kriegsaufwand bis jetzt auf 64 Milliarden Mark. Der einzige Trost, den der Staatssekretär des Reichsschatzamtes zu bieten wusste, war der, dass die Last Deutschlands geringer sei als die der Gegner. Als ob bei der Verquickung des Welthandels das Elend der Andern nicht auch uns beträfe. Die Rede, die dabei Bernstein gehalten, ist wert, wenigstens nach dem kurzen Zeitungsbericht hier festgehalten zu werden:

«Wie lange soll der Krieg noch dauern? Der Krieg ernährt den Krieg, denn die Anleihen zeichnen in der Hauptsache die Kreise, die an den Kriegslieferungen beteiligt sind. Aber weite Kreise sind durch den Krieg auch ruiniert worden. Das wird sich erst später im vollen Umfang zeigen, denn einmal muss doch der Krieg ein Ende nehmen. (Allseitige Zustimmung). Das Kapital geht gestärkt aus dem Krieg hervor. Daher geht die Arbeiterschaft schweren Zeiten entgegen. Unsere Regierung will angeblich Frieden. Aber damit wird der Friede nicht erreicht. Man muss etwas für den Frieden tun. Es ist nicht wahr, dass die ausländischen Sozialisten den Frieden nicht wollen. (Widerspruch). Kein vernünftiger Mensch will Deutschland vernichten. (Stürmische Zurufe: Lloyd George!)

Vizepräsident Dr. Paasche ruft den Redner wiederholt zur Sache. (Unruhe bei der Soz. Arbp.).

Abg. Bernstein: Die Völker sind gegen uns misstrauisch geworden, daher kommen wir nicht zum Frieden. (Schlussrufe). Erst müssen wir dieses Misstrauen gegen uns beseitigen. Die Mobilmachung Russlands . . .

Vizepräsident Dr. Paasche: Wenn Sie weiter vom Thema abschweifen, wird das Haus darüber entscheiden, ob Sie weiter sprechen dürfen.

Abg. Bernstein: Wir müssen doch die Ursachen des Kriegs besprechen dürfen! Die Völker haben solidarische Interessen. Kleine Minderheiten haben die Völker in diesen Krieg des Imperialismus hineingehetzt. Mit der längeren Dauer des Kriegs wächst auch die gegenseitige Gereiztheit. Wenn Deutschland eine Bereitwilligkeit zu einem Waffenstillstand und zur Einberufung eines allgemeinen europäischen Kongresses erklärt, so wäre damit dem Frieden gedient. (Lachen). Wir sind Gegner aller Kriege, bei denen überall auf dem Rücken der breiten Massen des Volkes gewisse Schichten sich Vorteile zu sichern verstehen. (Pfuirufe).

Vizepräsident Dr. Paasche ersucht, solche Bemerkungen zu unterlassen.

Abg. Bernstein: Wir lehnen die Kredite ab, weil wir auch nicht mittelbar die Kriegspolitik der Regierung unterstützen wollen».

Das heisst nun «nicht zur Sache» gesprochen.

Als der Staatssekretär die Worte sprach: «Sie haben die Äusserungen aus den führenden Ländern der Entente in den letzten Wochen ebenso verfolgt wie ich. Sie wissen, dass wir weiter kämpfen müssen, und dass auf uns nicht die Verantwortung für die ferneren Opfer an Gut und Blut fällt », da war das «zur Sache» gesprochen, obwohl es nicht richtig war. Als Bernstein sagte «kein vernünftiger Mensch will Deutschland vernichten», wurde er, obwohl das richtig ist, «zur Sache» gerufen.