Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 29. Oktober.

Einen lehrreichen Artikel des alldeutschen Schriftstellers General v. Gebsattel gelesen. Lehrreich in bezug auf die alldeutsche Psyche. Der Artikel heisst: «Das Gebot der Stunde». Er erschien in der alldeutschen Revue «Der Panther» (Heft 10). Langer Friede ist dem Verfasser eine Gefahr. «... so stellt sich naturgemäss das gesamte Fühlen und Denken des Volkes je länger der Frieden dauert, je mehr auf die Zwecke und Werke des Friedens ein. Dass darin eine ungeheure Gefahr für das Volksganze liegt, — wer wollte es verkennen oder leugnen?» — Wer? — Jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat! Der Gedanke, dass der Krieg ein Heil- und Erziehungsmittel sein könne, ist ebenso absurd und ebenso gefährlich wie die bekannten Blutsitten wilder Völkerschaften. — Der General verwahrt sich dagegen, dass die Alldeutschen Kriegshetzer seien, «dass wir den Krieg um seiner selbst lieben». Man «ehrte» ihn bloss als Zuchtmeister, und man hat ihn bloss «herbeigewünscht», «weil wir ihm gegenüber der abwegigen Entwicklung (!) die unser Volk zu nehmen drohte, für eine Notwendigkeit hielten, und weil wir uns des weiteren bewusst waren, dass ein Krieg um so leichter in seinem militärischen Verlaufe wie in seinen Opfern ist, je entschlossener und frühzeitiger ein ohnehin zum Daseinskampf gezwungenes Volk den günstigen Zeitpunkt für das Losschlagen wählt». Man sieht wie der Gedanke, den Krieg als Heilmittel zu betrachten, sofort zur Idee des Präventivkriegs führt. Der Präventivkrieg jedoch als System gedacht, bedeutet dauernden Krieg, dauernde Unsicherheit. Denn der Zeitpunkt, der gerade uns nicht zum Losschlagen günstig erscheint, wird sicherlich den andern als solcher vorkommen. — Man braucht nur diesen Gedankengang zu verfolgen, um zu erkennen, dass er wahnsinnig und verbrecherisch zugleich ist. Und mit solchen Gedankengängen aus alldeutschen Schriften und Zeitungen ist das Ausland von betrügerischen Zeitungskorrespondenten jahrelang überschüttet worden. Ist es dann zu verwundern, wenn dort die Furcht vor jenen Ideen immer stärker wurde und jene Erscheinungen zeitigte (von denen so anschaulich z.B. die belgischen Gesandtschaftsberichte melden), die, aus dem natürlichen Bedürfnis der Abwehr entstanden, in Deutschland wieder als Gefahr und Bedrohung aufgefasst wurden? Der Kreislauf des Bösen geht noch weiter. Man kann ihn sich vorstellen und nun die Rolle erkennen, die gerade die Alldeutschen, die die Gefahr erzeugt haben, wieder bei ihrer Ausnützung spielen. Es ist himmelschreiend!

General v. Gebsattel weiss, dass die Präventivkriegsanschauung einen mächtigen Gegner hat. Bismarck nämlich, von dem darüber eine bekannte Äusserung zitiert wird. Diese gewichtige Gegnerschaft gilt es, abzuschwächen. Er macht es mit Bismarcks Präventivkrieg-Gegnerschaft wie Werner Sombart es mit Kants Schrift vom «Ewigen Frieden» getan. Auch Bismarck hätte nur unter dem Einfluss der Senilität gehandelt. Jene präventivkriegfeindliche Äusserung Bismarcks stammt nach v. Gebsattel «aus den späteren Lebensjahren des Kanzlers, in denen auch bei ihm, wie bei seinem alten Herrn, eine gewisse Müdigkeit hinsichtlich kriegerischer Verwicklungen Platz gegriffen hatte ...»

Zum Präventivkrieg gehört aber auch eine gewisse Verantwortung, meint der alldeutsche Schriftsteller. Nicht jeder sei geeignet, diese zu übernehmen. Es muss eine Persönlichkeit von besonderer sittlicher Grösse sein, die noch andere, in dem Artikel näher aufgezählte Eigenschaften besitzen muss. «Ist aber diese Persönlichkeit vorhanden, fühlt sie sich getragen von dem Vertrauen des ganzen Volkes und glaubt sie, mit dem geschärften Ohr des grossen Staatsmannes den Schritt Gottes durch die Weltgeschichte hallen zu hören, wie Bismarck es so schön ausgedrückt hat, so wird sie gläubig und vertrauend den Zipfel seines Mantels fassen und sich von ihm weiter tragen lassen, auch wenn der Weg über die Schlachtfelder eines Präventivkriegs geht». Und so wird fortgefaselt. Von der «sittlichen Berechtigung der in Aussicht stehenden Blutopfer» wird geredet und von der Pflicht, dass der zum Präventivkrieg schreitende Staatsmann, «in der heiligen Überzeugung handeln muss, dass er mit einem solchen Entschluss sich und sein Volk tatsächlich an den Mantel Gottes hängt, usw.»

Und solche Ansichten werden laut, werden gedruckt, verbreitet, während unser Volk seit 15 Monaten blutet und verblutet, als Opfer dieses alldeutschen Wahnes das fürchterliche Weh erträgt! Man komme uns nicht mehr mit der Ah-Bah-Gebärde, als ob die Alldeutschen keine Bedeutung hätten. Sie haben Bedeutung. Sie sind eine Gefahr. Sie sind die Haupturheber dieses Krieges, und werden versuchen, noch andere Kriege zu erzeugen. Die Besänftiger sind einfach ihre Helfer. Wer nicht mithilft, dieses Übel auszurotten, ist mitschuldig an ihm.

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