Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 22. September.

Also Österreich-Ungarn voran. Die Antwortnote der Monarchie an den Papst wird bereits heute veröffentlicht. Vor der deutschen Note. Sie ist ein pazifistisches Dokument, Geist von unserm Geist. Nur mit dem Unterschied, daß die darin bekundete Erkenntnis am jenseitigen Ufer des Blutmeeres steht. Wir standen treu, sehnsüchtig und warnend am diesseitigen.

Der Sündenfall der Bibel in umgekehrtem Vorgang. Die vom Baume der Erkenntnis aßen, werden jetzt eintreten in das Paradies.

Es zeugt politisch von höchster Einsicht, daß die österreichische Antwortnote die materiellen Fragen der Kriegserledigung, die Fragen der Annexionen oder Nicht-Annexionen, der Entschädigungen usw. fast völlig außer acht lässt und dafür die Bereitwilligkeit ausdrückt, an dem Werk einer künftigen Staatenorganisation mitzuarbeiten. Es ist damit eine Methode befolgt, die ich in meinem Schreiben an den Grafen Czernin vom 2. Juni d. J. auf das Dringlichste empfahl. Darin heißt es:

«Mir scheint das Versagen aller bisherigen Versuche, zu Friedensverhandlungen zu gelangen, darin seinen Grund zu haben, daß bei allen darauf Bezug habenden Kundgebungen und Fühlungnahmen die materiellen Fragen der Kriegsbeendigung zu sehr in den Vordergrund gestellt werden, die ideellen Gesichtspunkte der künftigen Friedenssicherung, die Probleme einer neuen Weltgestaltung durch vernunftgemäße Organisation der zwischenstaatlichen Beziehungen fast gar nicht, oder nicht mit in die Augen springender Deutlichkeit vorgebracht wurden.»

Und zum Schluß:

«Ew. Exzellenz werden dann vielleicht meiner eingangs gemachten Anregung zustimmen, dass es wichtig ist, bei künftigen Kundgebungen von Friedensbereitschaft, die ideellen Kriegsziele in den Vordergrund zu stellen, etwa so, dass anstelle der bisherigen Fragen über Annexionen oder Nicht-Annexionen die Bereitschaft der k. u. k. Regierung erklärt wird, an einer künftigen zwischenstaatlichen Organisation im amerikanischen Sinn mitzuwirken. Dies wird den führenden Staat der gegnerischen Koalition, der keinerlei materielle Kriegsziele fordert, veranlassen, in Verhandlungen einzutreten, und die Möglichkeit bieten, zu Gesamtverhandlungen mit allen Gegnern zu gelangen.»

Und eben lese ich die deutsche Antwortnote an den Papst. Sie macht das ganze Friedenswerk illusorisch. Sie ist kalt wie Marmor. Sie hält es für notwendig, die Friedenstendenzen des Kaisers, das «hochherzige» Friedensangebot vom Dezember 1916, die Unschuld Deutschlands am Krieg in den Vordergrund zu stellen. Sie enthält der Unwahrheiten so viele, dass die «besondere Sympathie», die für des Papstes Vorschlag ausgedrückt wird, an Stelle der materiellen Macht der Waffen die moralische Macht des Rechts zu setzen, anmutet wie «weiße höfliche Manchetten».

Es zeugt von völliger Verkennung des Friedensgedankens, wenn die Bemühungen des Kaisers auf «Erhaltung des Friedens» besonders betont werden, jenes Friedens, der sich in fortwährend steigernden Rüstungen überbietet. Er ist sonderbar der Satz: «Hinter seiner Majestät stand in werktätigem Willen zum Frieden das deutsche Volk.» Hinter dem Kaiser standen auch die Alldeutschen, die Kriegshetzer, Kriegspreiser, Weltfresser,

die Amokläufer der internationalen Politik, standen die Wehrvereine, die Flottenvereine, die Artikel schreibenden Generale, standen die Ausdehnungspolitiker die den andern Satz der Note Lügen strafen, der da lautet:

«Deutschland suchte innerhalb der nationalen Grenzen freie Entwicklung seiner geistigen und materiellen Güter, außerhalb des Reichsgebiets ungehinderten Wettbewerb mit gleichberechtigten (!) und gleichgeachtet (!) Nationen. »

Man braucht nur des Fürsten Bülow Buch durchzulesen, um zu sehen, wie dieser Wettbewerb aufgefasst wurde, braucht nur die alldeutsche Literatur zu studieren, um zu erkennen, wie sehr man sich begnügte «innerhalb der nationalen Grenzen» freie Entwicklung zu suchen. Lüge! Nichts als Lüge.

War es notwendig, dies in den Vordergrund zu stellen, und so den ganzen Zweck der Kundgebung im vorhinein zu entwerten? Die deutsche Antwort an den Papst rettet uns nicht vor dem vierten Kriegswinter. Im Gegenteil: Sie verheißt uns einen fünften oder gar sechsten Kriegswinter noch.

Völlig allen Lehren des Pazifismus widersprechend ist der Gedankengang der Note, der aus der Rüstungsverminderung die friedlichen Mittel der Konfliktschlichtung hervorgehen lässt, statt umgekehrt. Gewiss ist nach dem Krieg eine rein mechanische Verminderung der Rüstungen möglich, weil eben die Fortsetzung des bisherigen Wettbewerbs unmöglich ist. Aber eine Rüstungsverminderung, die gleichzeitig eine völlige Veränderung des Wesens der Rüstungen mit sich bringt, ist erst möglich als Ergebnis einer gesicherten Rechtsordnung. Wer das anders darstellt oder annimmt, ist den Ideen, deren Durchdringung notwendig ist, völlig fern.