Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 25. Juni.

Österreich-Ungarn hat am Piave eine Schlappe erlitten. Nach den italienischen Berichten soll es sogar eine Niederlage sein. Der österreichische Bericht, der schon seit einigen Tagen bedenklich auf das Wetter hinweist, lässt es auch vermuten. Namentlich in der amtlichen Meldung vom 24. Juni, die infolge «Hochwasser und Witterungsunbilden» die Räumung der am rechten Ufer des Piave erkämpften Stellungen zugibt, und sich nicht scheut, abermals das Märchen der Planmäßigkeit und des freien Willens den Menschen durch die Phrase anzuhängen: «nach schon vor vier Tagen erteiltem Befehl». Zurück ist zurück. Der Plan dieser unerhört überflüssigen Offensive war nur vorwärts gerichtet. Die italienische Front sollte überrannt, durchbrochen, vernichtet werden. Nach zehn Tagen ist ein Rückzug angetreten worden. Dieses vergeudete Blut, dessen Vergießen der Sieg heiligen sollte, schreit nun in der Ernüchterung des Mißerfolges krass zum Himmel!

Armes Österreich-Ungarn! Armes Land. Im Hinterland wütet der Hunger in seiner brutalsten Gestalt, gärt es in allen Schichten der Bevölkerung und der Armee. Streiks mit blutigem Ausgang, Meutereien in grober Zahl, parlamentarische Krisen und Demissionen der Regierung. Dahin ist es gekommen durch die fluchwürdige Tat des Ultimatums vom 23. Juli und durch Auslieferung des Volks seitens der Deutschnationalen und der ungarischen Gewaltfresser an den preußischen Geist. Niemals ist ein lebensfähigeres Volk von seinen Führern so verraten worden, wie die kultur- und zukunftsreichen Völker Österreich-Ungarns. Es ist der Zusammenbruch! Und ich sehe keine Rettung mehr. Sie war noch im vorigen

Monat gegeben. Nur radikale Loslösung von dem deutschen Bann hätte sie herbeiführen können. Ich habe es kommen sehen. Ich habe gewarnt. Ich habe es hier mehr als einmal, niedergeschrieben, das Österreich sich nicht für die Ziele der Alldeutschen aufopfern dürfe. Deutschland, so schrieb ich, könnte eine Niederlage ertragen, Österreichs Niederlage ist Österreichs Ende.

Der jetzige Zustand der Monarchie lässt den Friedensschluss in weite Ferne gerückt erscheinen. Die Schwäche ist zu offenbar. Das wird die Entente nur zu neuen Hoffnungen, zu weiterm Durchhalten anspornen. Graf Burian zeigt wie fremd er der Außenpolitik ist, wenn er in seiner Antwort an den Wiener Arbeiterrat von seiner Friedensbereitschaft spricht, aber es für notwendig findet, zu erklären, wir seien gezwungen, «alles zu vermeiden, was unsre Feinde als Zeichen der Schwäche auslegen würden, und was sie daher nur zur Verlängerung des Kriegs ermutigen müsste». Kann er denn noch «alles vermeiden», kann er Brot schaffen, die Stabilität der innern Verhältnisse errichten, die Verzweiflung eindämmen? Das liegt doch alles zutage. Die Feinde werden daher den Krieg verlängern, der Österreich-Ungarn vor die traurige Wahl stellt, entweder unter den Schlägen der Gegner zusammenzubrechen oder durch einen, höchst unwahrscheinlichen, Sieg Deutschlands gerettet zu werden und aus der Scylla der Zerstücklung durch die Entente in die Charybdis des preußischen Jochs zu fallen.

Es gäbe nur noch eine Rettung: der Separatfriede. Abtreten Südtirols an Italien und Friede mit Serbien und den Westmächten. Bundestreue? Deutschland hat seine veertraglichen Abmachungen für die Beschaffung von Brotgetreide gebrochen. Es lässt die Völker der Monarchie bundesbrüderlich verhungern. Es lässt die Völker Österreich-Ungarns für die Unterjochung Belgiens und die

Aufrechterhaltung der Unterjochung Elsaß-Lothringens verbluten. Auch die Treue beginnt zu Hause.