Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. Dezember.

Morgens eine Depesche des Sekretärs Moe in Kristiania, die besagt, dass das Nobelkomitee beschlossen habe, den Friedenspreis in diesem Jahr nicht zu verteilen und ihn für das nächste Jahr zu reservieren.

Nicht wegen Umfrid allein, der mein Kandidat war, der den Preis nicht nur wegen seiner Lebensarbeit verdient hätte, und dem er wegen harter Schicksalsschläge ganz besonders zu gönnen gewesen wäre, sondern auch wegen der offenbaren Schädigung, die durch die Nichtverteilung unsrer Sache zuteil wird, bedaure ich diesen Beschluss. Die Verächter der Bewegung werden meinen, dass sie recht behalten haben mit ihrer Behauptung, in die Kriegszeit gehöre kein Friedenspreis. Damit wird der schädlichen Ideenverwechslung über die Aufgabe und das Wesen der Friedensbewegung Vorschub geleistet. Die Friedensbewegung wirkt, weil die Gefahr des Kriegs besteht. Der Krieg ist nicht ein Beweis ihrer Überflüssigkeit, sondern ihrer Notwendigkeit. Der Friedenspreis, der die Bewegung fördern soll, hätte gerade während eines solchen Kriegs, der die Notwendigkeit der Friedensarbeit wie noch kein Ereignis beweist, erteilt werden müssen. Und wenn die Banausen sich darüber auch amüsiert hätten. Es wäre immer besser gewesen als jetzt, wo sich zu ihrem Amüsement die Schadenfreude gesellt, da sie in der Nichterteilung des Preises eine Bestätigung ihrer blöden Idee vom Bankerott der Friedensbewegung erblicken werden.

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In der Botschaft, die der Präsident der Vereinigten Staaten wie alljährlich an den Kongress richtete, betonte er, dass die Vereinigten Staaten zu einer Mission der Eintracht und des Friedens und zur Wiederherstellung der Freundschaft zwischen den Völkern bestimmt seien. Das ist die richtige Erkenntnis der Aufgaben jenes grossen demokratischen Staatengebildes. Nach dem Krieg wird Amerika die zerschossene und erschlagene Verständigungsarbeit und Kooperation restaurieren müssen. Man wird die Völker nicht mehr ihrem blinden Hass überlassen dürfen und sie abwarten lassen, bis die Generationen ausgestorben sein werden, die den Krieg gesehen haben. Das wird dank der Vorarbeit unsrer Bewegung nicht mehr nötig sein. Man wird anknüpfen können an dem bereits Vorhergeschaffenen und da wird das neutrale und fortgeschrittene Amerika das Zentrum der Anknüpfungsarbeit bilden. Ich stelle mir vor, dass von Amerika aus Verständigungs-Missionen angesehener Männer Europa bereisen und sich der Mühe unterziehen werden, die Beziehungen von Mann zu Mann, von Korporation zu Korporation wieder anzuknüpfen. Ein ganzes Heer von Intellektuellen wird von drüben herüberkommen, um die Stupidität, die Unfruchtbarkeit des Hasses darzulegen, der nur solange eine Erklärung zulässt, als er die Wirkung der Waffe beeinflusst. Sobald die Waffen schweigen, muss der Hass weggeschafft werden, wie alsdann die Minen in der Nordsee fortgeschafft werden müssen, damit der Verkehr nicht mehr gehemmt werde.

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Die verfehlte Methode unsrer Intellektuellen fängt jetzt an, eine wohltuende Reaktion auszulösen. Da las ich kürzlich im «März» einen sehr guten Artikel von Hermann Friedemann über die «Immobilisierung der Geister», und im «Berliner Tagblatt» vom 7. Dezember einen Artikel Theodor Wolffs, der angesichts der Tätigkeit von Ostwald, Haeckel, Lasson u. a. endlich das Wort von der überhandnehmenden «Kriegsneurose» ausspricht. Das Unglaublichste hat tatsächlich Lasson in einem nach Holland gerichteten Brief geleistet, der im «Amsterdamer» erschienen ist.

Jetzt kommt mir die «Vossische Zeitung» vom 29. November zu Gesicht. Es ist unglaublich, welche Verirrung und Karikierung sich der intelligentesten Menschen bemächtigt hat. Auch Fulda begeht den Fehler, unter «Militarismus» die Wehrkraft und die Schlagfertigkeit des Heeres zu verstehen. Er schreibt: «Unser Militarismus! Was soll dieses zu Tode gehetzte Schlagwort im Munde von Feinden, die uns doch in bezug auf den Eifer und Umfang ihrer Rüstungen wahrhaftig nichts nachgeben (!). Besteht etwa in Frankreich, in Russland kein Militarismus? Ist die englische Riesenflotte ein Friedensinstrument? Wurde der Dreiverband gegründet, um das tausendjährige Reich auf Erden zu verwirklichen? Hätte er, wenn wir töricht genug gewesen wären, uns zu entwaffnen (!) zum Lohn für Wohlverhalten unsren Besitzstand garantiert? Glaubt ihr das, Amerikaner?»

Nein, das werden sie nicht glauben! Sie werden aber erwidern, dass von einer einseitigen Entwaffnung nicht die Rede ist, wenn man sich bemühte, das Überbieten an Rüstungen, das unweigerlich zur Explosion des Kriegs führen musste, durch gegenseitige und gleichzeitige Vernunftmassnahmen zu regulieren oder zu hemmen, dass es aber Deutschland immer war, das sich allen Vorschlägen und Anregungen zu einer vernunftgemässen Rüstung zu kommen, widersetzte. Sie werden schliesslich sagen, was ich hier so oft schon ausgeführt habe, dass die Rüstung an sich noch nicht der Militarismus ist, der die andern Völker bedroht. Gewiss ist das deutsche Volk das friedliebendste auf der Erde, aber in ihm wirkten Kräfte — Menschen und Ideen — die den Frieden der andern störten und schliesslich dieses friedliebende Volk, das in den Schutzmassnahmen der andern Völker gegen jene Menschen und Ideen eine Bedrohung erblickte, mit in den Weltkrieg hineinrissen. Was weiss der Dichter Fulda von der Realität des Treitschketums, des Bernhardismus, usw.

Da las ich in der «Münchner Post» (1. Dezember 1914) aus Anlass einer künstlerischen Vorführung ein wahres Wort: «Der Schrecklichste der Schrecken ist der Ästhet, in seinem Wahn, plötzlich Volksführer sein zu wollen!»

Sehr wahr!

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In Berlin sind Bestimmungen erlassen worden, dass in den Gefangenenlagern — auch in denen der Zivilinternierten — «den Gefangenen jede Gelegenheit, ihre Neigungen zu verfeinerter Lebensweise zu befriedigen, scharf unterbunden werde». «Damit wird» so heisst es in dem Bericht «dem, angesichts der menschlich unwürdigen Behandlung, die unsre in feindliche Gefangenschaft geratenen Heeresangehörige zum Teil (!) zu erdulden haben, berechtigten Empfinden weiterer Volkskreise Rechnung getragen.»

Diesen Hinweis auf das «berechtigte Empfinden weiter Volkskreise» hätte ich im Interesse des deutschen Volkes gerne vermieden gesehen. Ob es klug ist, so zu handeln, und «die Neigungen zu verfeinerter Lebenweise» zu unterbinden, also gerade die an besseres gewöhnten Elemente zu strafen, wage ich nicht zu bejahen. Es sei darauf hingewiesen, was Hofschauspieler Gregori neulich im «Kunstwart» darüber schrieb, welches Kapital für die Zukunft wir anlegen durch die gute Behandlung unserer Gefangenen. Repressalien? — Nun der Bericht gibt selbst zu, dass es sich nur um einen Teil unsrer Angehörigen im fremden Land handelt, der sich über schlechte Behandlung zu beklagen hat. Es fragt sich, ob wir diesem Teil mit einer entgegenkommenden Behandlung unsrerseits nicht mehr genützt hätten als wir dem andern Teil, der sich nicht zu beklagen hat, jetzt schaden werden. Der Hass ist ein schlechter Organisator.