Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. April.

Es wird riesig viel enthüllt. Großes Reinmachen und Reinwaschen. Jeder der Hauptakteure des Weltkriegs schreibt ein Buch. Der Kronprinz schreibt, Bethmann Hollweg schreibt, Tirpitz, Ludendorff, Hötzendorf schreiben. Dabei dürfte es passieren, dass die Herren sich gegenseitig bekämpfen und beschuldigen werden, wie dies der Kronprinz in einem, bis jetzt nicht dementierten, Interview in der «Berlingske Tidende» (Frankfurter Zeitung vom 4. April) dem General Ludendorff gegenüber getan hat.

«Ludendorffs Berichte», so äußerte sich der deutsche Kronprinz, «waren in den letzten Jahren verlogen bis zum Lächerlichen. Man kann nicht, wie Herr Ludendorff 300 Geschähe und 30 000 Mann verlieren und gleichwohl melden, dass man einen Abwehrsieg erfocht.»

Einige hatten ja diese Lügen schon erkannt und waren in der Lage, sie richtig zu lesen. Die Masse des Volkes aber glaubte daran und war geneigt, jene als Verräter zu behandeln, die einen Generalstabsbericht missachteten. Alles war doch auf den Erfolg zugeschnitten, der auch die Lügen verzeihbar gemacht hatte. Da dieser Erfolg ausblieb, starrt nun die brutale Verlogenheit erschreckend die Entsetzten an, die einstens glaubten, auf des Meisters Worte schwören zu dürfen.

Wie wenig der frühere Kronprinz in das Wesen der Dinge einzudringen vermag, geht aus dem Rezept hervor, das er für die Überwindung des Deutschenhasses in der Welt gern angewendet gesehen hätte. Er sagt in jenem Interview:

«In Deutschland bildete man sich ein, man sei das auserwählte Volk der Erde, und verschloss die Augen davor, dass wir in Wirklichkeit das meistgehasste Volk der Welt waren. Und warum? Nicht nur weil wir schlechte Manieren hatten und mit dem Messer aßen, nein, weil der deutsche Reichtum nie etwas für die Propaganda bewilligte. Ich will ein einziges Beispiel anführen: Der deutsche Gesandte in Peking hatte einen Betrag von 20 000 Mark jährlich, um Stimmung zu machen. Der russische Gesandte verfügte in der gleichen Zeit über 200 000 Rubel.»

Gerade diese Auffassung ist es aber, die das Deutschtum in der Welt so verhasst machte, indem man meinte, man könne alles kaufen, auch eine gute Meinung. Der Kronprinz und mit ihm so viele, die das Deutschtum im Ausland zu vertreten hatten, wollten nicht eine Änderung des Auftretens, der Sitten, des Benehmens, letzten Endes der politischen Grundsätze herbeiführen, sie dachten vielmehr nur daran, die schlechten Eindrücke, die Unannehmlichkeiten, die Hassgefühle, die durch das Vorgehen erzeugt wurden, durch Trinkgelder, durch Kauf der Gesinnungen, durch jene aufdringliche, unwürdige, in ihrer Wirkung so schädliche «deutsche Propaganda» zu übertünchen. Das ist der große Irrtum gewesen!