Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 21. April.

In der «Internationalen Rundschau» ruft Abg. Gothein ein «Quosque tandem» in die Welt. Jeder Tag dieses Kriegs koste 10.000 Menschenleben, 30.000 Krüppel, 20.000 sonstwie in ihrer Gesundheit Geschädigte. Koste ferner fünfzehn Millionen Mark. Jeder Tag! Wie lange noch also? Jeder Tag bringt neuen Wahnwitz. — Gut! Nur hätte man sich dies schon am ersten Tag sagen sollen, nicht erst am sechshundertdreissigsten! — In der «Neuen Zürcher Zeitung» von heute wirft Herr Emil Schiff aus Berlin, wie er sagt, nicht als Deutscher, sondern als Europäer, die Frage auf, ob es Menschen gibt, die diese Sintflut verantworten können, die mit der Fortsetzung des Kriegs über Europa hereinbricht. «Die gesamten europäischen Kosten und Verluste durch den Krieg ... werden sich bei zweijähriger Dauer auf tausend Milliarden Franken belaufen». Amerika und Japan können sich freuen. — Auch dies hat der Pazifismus seit einem Vierteljahrhundert unter dem spöttischen Grinsen und verächtlichem Achselzucken der kompakten Mehrheit unserer Zeitgenossen im voraus nachgewiesen. Können sich die Leute, die heute bereits zur Erkenntnis jener Wahrheit durchgerungen haben, die einst so billig zu haben gewesen wäre, nunmehr vorstellen, mit welcher Erbitterung und mit welchem Schmerz wir Pazifisten, unter den Verblendeten die einzig Sehenden, jenen lähmenden Spott über uns ergehen liessen. Und heute noch, wo die Richtigkeit unserer Lehre sich durchringt, müssen wir uns unter dem Schutz des Burgfriedens die Anwürfe und Verleumdungen des tintenklecksenden Blut- und Eisen-Janhagels gefallen lassen.

Wir sind wahrlich nicht stolz auf die Rechtfertigung, die uns zuteil geworden ist. Aber inmitten des Schmerzes über die Vaterlands- und Menschheitsvernichtung sei uns wenigstens der Ausdruck unserer innern Beruhigung gestattet, dass unsere Hände und unser Gewissen rein sind. Das können wahrlich nur Wenige in Europa sagen.

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Schwere Spannung liegt wieder über uns. Man fühlt, dass es nun zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zur Entscheidung kommen muss. Die Rede, die Wilson gestern im Kongress gehalten hat, lässt an Entschiedenheit nichts mehr zu wünschen übrig. Sie droht offen mit dem Abbruch der Beziehungen. Werden die Ultras der deutschen Jusqu’auboutisten diese Drohung, die offenbar in der noch nicht veröffentlichten Note der Vereinigten Staaten enthalten ist, leicht aufnehmen und dem deutschen Volk auch noch diese Erschwerung des Kriegs auferlegen? Fast ist es zu fürchten. Dann sind alle Aussichten auf baldige Beendigung des Kriegs, die in den letzten Tagen wieder auftauchten, dahin, der gesunde Menschenverstand, der jetzt eben allenthalben aufzuleuchten begann, auf lange hinaus in seiner Wirkung gelähmt.