Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 18. April.

Der Friedensvertrag ist fertiggestellt. Die Deutschen wurden eingeladen, ihre Delegierten in der nächsten Woche nach Versailles zu senden. Wir stehen also unmittelbar vor jenem Augenblick, wo uns offenbar werden wird, was wir bis jetzt nur vermuten, dass unsere Hoffnungen auf einen Menschheitsfrieden getäuscht wurden. Es wird ein Gewaltfriede, der bei den Besiegten nur den einen Gedanken aufflammen lassen wird, ihn durch Gewalt wieder zu beseitigen. Also, es soll wieder losgehen, wie es vorher war! Intrigen, Rüstungen, Gegenrüstungen, die alte Panik mit nur noch schrecklicheren Befürchtungen, das alte ewige Lied! Kriegsruhm und Siegesverherrlichungen werden wieder zu Ehren kommen. Der kriegerische Geist wird wieder seine Pflege finden, die gepeinigten, zerschlagenen Menschen werden neben den Lasten, die ihnen dieser Irrsinn auferlegt hat, weiter schuften für Kanonen, Kriegsschiffe, Bombenflugzeuge und den übrigen Kleinodien der «schimmernden Wehr». Die blöden Völker werden weiter Menschen hassen, die sie nicht kennen, und werden sich durch diesen Hass hypnotisieren lassen, um dann abermals wie Opfertiere zur Schlachtbank geführt zu werden.

Nein! Ich kann es mir nicht denken, dass es so kommen wird, dass nicht doch noch die Vernunft obsiegt, dass die Völker nicht nach kurzer Zeit verbessern werden, was ihre Diplomaten zusammengestümpert haben, dass die Jugend nicht kräftig zerreißen wird, was die alten Männer in Paris mit ihren alten Ideen ausgeheckt haben.

Sie haben viel Sünde auf sich geladen, diese Militärkommis, die da in Paris berufen waren, die Hoffnungen der Menschheit zu erfüllen. Die Geschichte wird über sie nicht anders urteilen wie über jene gnädigen Monarchen und deren Lakaien, die vor hundert Jahren in Wien über Völker und Länder schacherten. Nur als noch verblendeter wird man sie erkennen. Man wird es nicht begreifen können, dass sie, angesichts des drohenden Terrors der extremsten Revolution, es noch wagten, die Geduld der Menschheit so auf die Probe zu stellen.

Wird dieser Friede so werden, wie es bis jetzt den Anschein hat? Noch möchte ich auf Wilson hoffen, der sich nicht so beiseite schieben lassen darf. Er verkörpert das gute Prinzip, seine Niederlage wäre die Niederlage des bessern Teils der Menschheit, wäre der Sieg Lenins, der Ruin unsrer Generation und der nächsten. Wird Wilson sein Veto einlegen oder als der Vertreter der besiegten Vernunft den Heimweg antreten?

Drei Monate saßen sie zusammen, um unter sich einig zu werden. Fünf Monate dauert schon der Waffenstillstand. Eine lange Wartefrist für jene, denen man die Nahrung vorenthalten hat bis zur endgültigen Regelung. Gewiss, das deutsche Volk, das die Verbrecher, die in den Krieg gehetzt, nicht sichtbar und glaubwürdig von sich gestoßen hat, hat kein Recht, Vorwürfe zu machen. Aber eine Niedertracht bleibt diese fünf Monate nach Kriegsende aufrechterhaltene Blockade dennoch. Bleibt sie, ohne Rücksicht auf die Gemeinheiten, die deutsche Militärs in Feindesland verübt haben, ohne Rücksicht auf jene Gewalttaten, die auch sie im Fall ihres Siegs verübt hätten.

An uns aber, die wir dem allgemeinen Siegestaumel in Deutschland trotzen, die wir unter Schmähungen und Gefahren die Wahrheit von der Schuld der deutschen Regierenden verkündeten, ihre Missetaten tadelten, ihre Gewalttaten bekämpften, die wir auf die Ideen des Rechtes und des Kulturfriedens hinwiesen, die die Staatsmänner drüben verkündeten, an uns haben die Sowjets der Pariser Konferenz schwer gesündigt. Sie haben den Glauben an uns erschüttert, uns bloßgestellt und dem chauvinistischen Janhagel ausgeliefert. Wir hoffen nur, dass unsere Gesinnungsgenossen drüben, die heute noch schweigen müssen, eines Tages auftreten und uns rechtfertigen werden. Wir glauben noch immer daran, dass hinter der Fratze des Ententemilitarismus die Völker eines Tages hervortreten und mit uns kämpfen werden für die Ehre und das Glück der geschundenen Menschheit.