Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 14. Juli.

Die deutsche Note soll von der amerikanischen Presse sehr unwillig aufgenommen worden sein. Man ist namentlich über die Rechtfertigung der «Lusitania»-Torpedierung verstimmt, da man eine Entschuldigung und die Bereiterklärung zu einer Entschädigung erwartet haben soll. Nach den vorliegenden Nachrichten spricht man von einem geplanten Ultimatum an Deutschland. Alles Unsinn. Der Konflikt ist nun einmal auf dem Geleis der Diskussion und kann kaum mehr zu einer gewaltsamen Entscheidung gebracht werden, zumal auf beiden Seiten die ehrliche Absicht zu bestehen scheint, ihn zu überwinden.

Nach langer Pause ist jetzt wieder mit dem Austausch kriegsuntauglicher Gefangener zwischen Deutschland und Frankreich begonnen worden. Die beiden Länder senden sich gegenseitig die durch ihre Vernichtungsapparate zerfetzten Bürger zurück. Ein Austausch von menschlichen Dokumenten, der das entehrend kulturwidrige des Kriegs so entsetzlich veranschaulicht.

Aus Konstanz, wo die französischen Schwerverwundeten angesammelt und die aus Frankreich abgesandten deutschen erwartet werden, berichtet der Korrespondent des «Bund» folgendes:

«Über 300 Verwundete, alles Krüppel haben uns so passiert. Die grosse Mehrzahl hatte ein Bein verloren, gar vielen aber fehlten beide Beine, und mancher von diesen Unglücklichen war zu einem kindhaft kleinen Häuflein Menschheit zusammengeschrumpft, das ein Kamerad oder ein deutscher Sanitätler federleicht auf den Arm nahm und zum Zug trug. Verhältnismässig wenig zahlreich waren diejenigen Verwundeten, denen Arme oder Augen fehlten. Den ergreifendsten Eindruck machten jene, die auf Tragbahren hertransportiert werden mussten, weil sie, wie jener blutjunge Soldat, dem beide Beine, der linke Arm und das linke Auge fehlten, absolut hilflos waren, oder deren Verwundungen trotz vieler Monate langer Verpflegung in den Lazaretten noch nicht geheilt waren und einen sorgfältigen liegenden Transport erheischten. Manche der Geheilten humpelten selber auf Stelzfüssen, unterstützt von Krücken, von dem Wagen zum Zuge, oft kreuzfidel ein Pfeifchen schmauchend! Aufgefallen ist eine Anzahl Leute, denen äusserlich gar keine Gebresten anzusehen waren, sondern alle Glieder munter gebrauchen konnten. Ich habe aber auch Unglückliche gesehen, neben derer Bahre ein katholischer Geistlicher herschritt, weil man jeden Augenblick ihr Sterben erwartete! Unter all den Hunderten von armen Krüppeln herrscht natürlich die Jugend weitaus vor. Siebzehnjährige bemerkten wir unter ihnen, die meisten aber standen im Alter von 20 bis 28 Jahren; aber auch ein alter Veteran mit grauem Haar und langem gebleichten Barte musste, einbeinig und einarmig, zum Zuge geführt werden, bei den Jugendlichen und den Alten wird es sich um Freiwillige handeln».

Ein schönes Bild, so recht geeignet die Phrase von der Grösse und Hoheit des Kriegs zu illustrieren.