Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 27. Januar.

Und Dr. W. ist gestern früh nach Rom gereist. Das nenne ich Entschlossenheit.

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Die Prediger der Wohltaten des Krieges verstummen nicht. In ungeheurer Masse stürmen sie in die Öffentlichkeit und in tausenden von Variationen stimmen sie in das Lob des Krieges ein. Nicht nur der einfache Mann, auch viele der sogenannten Gebildeten können sich einer derartigen Massensuggestion der Geister nicht entziehen. Sie denken mit. Wie man in einem Konzertsaal mechanisch mit applaudiert wenn die andern die Hände zusammenschlagen. Das Gesetz der Trägheit.

Hand in Hand mit dieser Verherrlichung der Kriegswohltaten geht eine Verächtlichmachung des Friedens. Erich Schlaikjer — auch einer von der Ästhetenzunft, der dadurch glaubt, berechtigt zu sein, soziologische Probleme zu erörtern — spricht in der «Täglichen Rundschau» (Abendausgabe vom 16. Januar) von den «Gefahren des Friedens». Er lieferte uns einer langsamen Fäulnis aus. Fäulnis! Wer Deutschland in seiner ungeheuren Arbeit gesehen, wird über die Penäler-Phrase von der Fäulnis des Friedens lächeln. Wer je einmal durch Rheinland-Westfalen gefahren, Hamburg und Bremen gesehen, wer das wilde Treiben der Arbeit und des Verkehrs in Berlin und andern deutschen Städten bewundert hat, wer einen Einblick gewonnen hat in die geistige Arbeit des deutschen Volkes, der wird wohl den Mut bewundern, mit dem hier von der «Fäulnis des Friedens» gesprochen wird. Schlaikjer, der an die, so wenig an Fäulnis erinnernde, Erhebung des deutschen Volkes denkt, verbessert sich schnell und sagt: Es war nur der Anfang dieser Fäulnis da, «der Wurm sass in der Friedensblüte». Dafür ist er uns aber den Beweis schuldig geblieben. Er — und mit ihm Tausende — reden sich und uns das nur ein, um für das sonst unfassbar Schreckliche eine Rechtfertigung zu finden. Von den Gefahren des Friedens reden, ist das Gleiche, als wollte uns Einer von den Gefahren der Gesundheit reden und die Krankheit, ja den Tod preisen, die uns vor den verweichlichenden Bedrohungen durch die Gesundheit zu retten vermögen.

Es sind mittelalterliche Wahnideen, wenn von den «Wohltaten des Krieges» und von den «Gefahren des Friedens» gesprochen wird. Wahnideen, die wir überwunden wähnten.

Dabei bemerken jene verstockten Prediger nicht, wie sie sich widersprechen. Wenn man sie um das Ziel des Kriegs fragt, so antworten sie: Wir müssen uns gegen künftige Angriffe unsrer Nachbarn sichern und ihnen für immer die Lust nehmen, unsern Frieden zu stören. — Wenn der Krieg wirklich solche Wohltaten mit sich bringt, warum wollen wir ihn so sehr verrammeln, uns auf menschlich absehbare Zeit seinen Segnungen entziehen? Ist es nur Betrug oder zum Himmel schreiender Irrtum, der uns den Krieg als Wohltäter preisen, ihn aber dennoch führen lässt, um ihn unmöglich zu machen? Und ist der Krieg wirklich der Wohltäter, wenn wir mit allem Nachdruck betonen, wir hätten ihn gar nicht gewollt, er wäre uns — «ruchlos» — aufgezwungen worden. Wenn wir den Krieg wirklich als Wohltat empfinden, so müssten wir stolz verkünden, dass wir ihn gewollt haben. «Die ganze Schwere der Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern» telegraphierte Kaiser Wilhelm am 30. Juli an den Zaren, «sie haben die Verantwortung für Krieg oder Frieden zu tragen.» Die Verantwortung für einen Glücksfall weist man nicht in so ernster Weise zurück.

Hier noch ein Satz des Herrn Schlaikjer, den ich festhalten möchte. Er lautet: «Dass unsere Volkskraft trotz allem noch unangetastet war, (nebenbei bemerkt, der von ihm selbst zugegebene Beweis dafür, dass es mit der «Fäulnis des Friedens» nicht so arg stand!) bewiesen bei Ausbruch des Krieges die Millionen von Freiwilligen, die lieber ihr junges Leben dahingaben, als dass ihr Vaterland die Freiheit verlieren sollte.» Ich will den Idealismus des deutschen Volkes, der sich in jenen ausserordentlich grossen Freiwilligenmeldungen äussert, sicher nicht antasten, muss aber dennoch der millionenfach geäusserten Phrase entgegentreten, als ob jene Freiwilligen ihr Leben zu opfern bereit waren. Das spräche aller Erkenntnis der menschlichen Psyche und der physischen Gesetze Hohn. So wie es nach dem bekannten Ausspruch noch keinen Philosophen gegeben hat, der mit seiner Philosophie den Zahnschmerz zu ertragen vermochte, so hat es noch keinen Helden gegeben, der sich gegen das Gesetz der Selbsterhaltung aufzulehnen vermocht hätte. Er hat dieses Gesetz verkannt, seine Überwindung unterschätzt, kurz, die Gefahr nicht richtig gewürdigt, in die er sich begeben hat, und immer wird er die Idee der glücklichen Chance im Kopfe gehabt haben, die es ihm als wahrscheinlich erscheinen liess, die Lebensgefahr zu überwinden. Nach dem Fehlschlagen dieser Hoffnung konnte man noch keinen befragen, ob er, wenn er von seinem sichern Untergang überzeugt gewesen wäre, nicht doch anders gehandelt hätte. Der Selbsterhaltungstrieb ist eben stärker als aller Idealismus. Was nun aber die Kriegsfreiwilligen betrifft, so ist es eine liebenswürdige, aus der allgemeinen Psyche dieser Kriegszeit hervorgegangene Irreführung, wenn man — wie dies jetzt immer geschieht — behauptet, dass der Kriegsfreiwillige mit seinem Entschluss, ohne Zwang in den Krieg zu ziehen, sein Leben opferbereit hingibt! Er denkt gar nicht daran, sein Leben zu opfern. Er ist nur bereit, ein Risiko zu übernehmen, wobei er das Leben verlieren kann. Das ist aber nicht das selbe. Wenn sich einer freiwillig meldet, ein Schiff oder eine Brücke in die Luft zu sprengen, wo er dabei mit in die Luft fliegen muss, der — nur der — opfert sein Leben. Wer sich jedoch entscheidet, in den Krieg zu ziehen, wo erfahrungsgemäss nur ein Prozentsatz der Teilnehmer sein Leben verliert, der riskiert wohl sein Leben, aber er opfert es damit noch nicht. Denn die menschliche Psyche ist bei Risiken immer nach der optimistischen Richtung eingestellt. Der Mensch, der als Lotteriespieler den Geldeinsatz wagt, in der Hoffnung einer von einer Million zu sein, dem das grosse Los zufällt, wird in der Hoffnung in den Krieg ziehn, dass er zu den Neunzig vom Hundert gehört, die wieder lebend nach Hause kommen. Wäre das Verhältnis der aus einem Krieg nach Haus Kommenden das Gleiche wie das der Gewinner des grossen Loses bei einer Lotterie, die Zahl der Kriegsfreiwilligen hätte anders ausgesehen. Also weg mit der Phrase von den ihr Leben hingebenden Kriegsfreiwilligen! Ändern wir sie dahin, dass wir jene idealen Kämpfer als Übernehmer eines günstigen Risikos hinstellen, das ihnen neben der Möglichkeit des Todes viel mehr Möglichkeiten der Ehre, des Ansehens, des interessanten Erlebnisses einzutragen vermag.

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Vorgestern eine Seeschlacht in der Nordsee. Der «Blücher» mit 850 Mann gesunken. Der deutsche Bericht spricht auch von einem englischen Schlachtschiff, das gesunken ist; der englische Bericht bestreitet es.