Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Zürich, 30. September.

Es geht zu Ende! Unheimlich rasseln die Ereignisse auf uns ein. Der Waffenstillstand zwischen Bulgarien und der Entente ist abgeschlossen. Bulgariens Hauptstadt und die gesamten Eisenbahnen werden dem Sieger überantwortet. Deutschland ist vom Orient abgeschlossen, Rückzug in Flandern, Rückzug in der Champagne, Cambrai gefallen, die Hindenburglinie anscheinend durchstoßen und nach Zehntausend zählen die Gefangenen. Hertling und Hinze haben demissioniert. Der Kandidat der Alldeutschen, Hinze, der, mit den Indern, Ägyptern und Iren techtelmechtelnd, seine Laufbahn begann, zieht ruhmlos dahin, ehe er noch vor den gesamten Reichstag treten konnte. Und Wilhelm II. sagt in dem Abschiedserlass an den scheidenden Reichskanzler:

«Ich wünsche, dass das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite. Es ist daher mein Wille, dass Männer, die vom Vertrauen des Volks getragen sind im weitern Umfang teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung.»

Ich will . . . damit dankt die preußische Autokratie ab. Wird der Autokrat noch lange bleiben können? Ich glaube, dass auch hier der Herzog dem Mantel wird folgen müssen. Die Einsicht kommt zu spät. Es kracht das Gebäude in allen Fugen. Die deutsche Demokratie wird vollkommen, wird fest verankert sein, sonst hört der Krieg nicht auf. Die Spuren der preußischen Geschichte schrecken ab. Vieles haben preußische Könige in der Stunde der Not versprochen, das später wieder vergessen wurde.

Aber es ist ein großer Augenblick, jetzt, wo der starrsinnigste Autokrat der Gegenwart sich gezwungen sieht, seine Vergangenheit zu verleugnen («wirksamer als bisher!») und dem Volk die Bestimmung seiner Geschicke einzuräumen. Fieberhaft durchrüttelt es uns alle, die wir unter dieser Gewaltherrschaft gelitten, die wir unter dem Gejohl der fettgefütterten Soldschreiber für die Befreiung und für die Vernunft gekämpft haben, dass wir diesen Augenblick erleben dürfen. Traurig ist es, dass es unter dem Druck der Waffen der ganzen Welt geschehen musste. Aber nun stehen sie da, die Gewaltanbeter, die Hohepriester des scharf geschliffenen Schwertes, und müssen erkennen, dass sie falsch spekuliert haben, und das ihrer Beschränktheit Deutschlands Jugend, Deutschlands Glück zum Opfer fallen musste.