Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 6. Mai.

Über die Aussichten für die Kriegsdauer ist es kürzlich im preußischen Abgeordnetenhaus zu einer bezeichnenden Äußerung seitens der Regierung gekommen. Der Konservative Spee hat (in der Sitzung vom 30. April) den Antrag eingebracht, die Beratung der Wahlreform bis nach Friedensschluss zu vertagen. Darauf hat der Vizepräsident des Staatsministeriums, Dr. Friedberg, geantwortet:

«Jetzt eine Vorlage, die feierlich angekündigt worden ist, und in deren Beratung wir mitten drin stehen, auf eine ganz unbestimmte, unabsehbare Zeit zurückzustellen, würde den innern Frieden unseres Volkes aufs tiefste gefährden.»

Also der preußischen Regierung erscheint die Zeit des Friedensschlusses noch «ganz unbestimmt», noch «unabsehbar»! Das ist ein Widerspruch zu den Äußerungen der Generale, die die so unerhörte Opfer erheischende Frühjahrsoffensive mit ihrer Wirksamkeit für einen baldigen Frieden begründeten, das ist im Widerspruch zu den mächtigen, für die achte Kriegsanleihe ausgestoßenen Fanfarenstößen, wonach deren Erfolg den Sieg der Sieg aber den Frieden bringen werde. Und nun heißt es «unbestimmte, unabsehbare Zeit!»