Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 26. April.

«Die Regierung hat, was von ihr über die Kriegsziele gesagt werden kann, mitgeteilt, und kann gegenwärtig keine weiteren Erklärungen abgeben.»

So heißt es in einer, vom Wolff’schen Telegraphenbureau weiter gegebenen Erklärung der «Norddeutschen Allgemeinen Zeitung» von gestern. — Das ist bedauerlich, dass sie das noch immer nicht kann. Sie hat es in der Hand, durch offenen Verzicht auf Annexionen und durch Oktroyierung einer modernen demokratischen Verfassung den Krieg morgen zu beendigen. Sie wird ihn noch in zwei Jahren führen müssen, wenn sie diesen Weg nicht einschlägt.

Inzwischen werden im Westen wieder Hekatomben von Menschen geopfert, Verluste erreicht, die kein noch so schöner Gebietszuwachs ausgleicht, und inzwischen wird in Washington unter Anwesenheit französischer, englischer und italienischer Delegierter die künftige Weltorganisation gezimmert. Deutschland und Österreich-Ungarn sind wieder nicht dabei, und werden wieder von der Einkreisung sprechen, wo es sich nur um eine erneute Auskreisung handelt.

Wieder fehlt es, wie einst in den Haager Tagen, an dem richtigen Verständnis der Situation. Von blödem Misstrauen und kleinlichem Hass geleitet, wird Alles, was als pazifistische Idee bei unsern Gegnern in den Vordergrund tritt, verhöhnt und verächtlich gemacht. Und doch ist es der Menschheit draußen so ernst um diese Dinge. Andere übernehmen die Führung und das genialste und tatkräftigste Volk der Erde bleibt im Hintergrund,weil seine Führer einer vergangenen Zeit angehören. Das ist die wahre deutsche Tragödie, die unsre Nachkommen mit Ernst und Bedauern erkennen werden.

Die Erde krümmt sich unter dem wahnwitzigen Mord, die Welt will brechen mit diesem Irrsinn für immer, und sich wichtig tuende Zwerglein, Krämerseelen, die die wirkliche Größe des Augenblicks nicht ermessen können, bezeichnen alle Erscheinungen dieser größten Umwälzung der Menschheit für pfiffigen Kniff und nichtsnutzige Tücke.

Wenn die Folgen dieses Verbrechens ertragen werden sollen, dann muss aufgeräumt werden mit dem Mist in den Gehirnen, dann muss entschlossen der Sprung in die Überstaatlichkeit getan werden, sonst rollen die Räder der Zeit über den letzten deutschen Menschen dahin. Ausspucken den Schleim der Seele, das ist jetzt die wahre Heldentat, das wahre Verdienst um Land und Volk. Und neben der Überstaatlichkeit für den Zusammenhang der Staaten, muss das Übervolktum im Innern sich durchsetzen. Mögen die Nutznießer der Vergangenheit schreien und jammern. Sie, die den Krieg als Heil und Rettung begrüßt haben, haben kein Anrecht auf Rücksicht und Erbarmen. Sie müssen die Folgen ihrer Blindheit tragen, sie allein! Dem deutschen Volk muss die Regierung durch das Volk gegeben werden! Republik ? Es ist nicht nötig, sich an ein Wort zu klammern. Die Monarchie ist nur unerträglich in ihrer alten Form. Sobald sie sich ändert, kann sie erträglich werden. Vor allem brauchen wir eine Entgötterung der Höfe. Der sich als Sterblicher gebende Monarch kann auch an der Spitze eines demokratischen Staatswesens stehen. Nur die Halbgötter, die mit dem Herrgott auf Du und Du stehen, sind Anachronismen. Und wenn die Dynastien nicht mit jener dem Untergang vorangehenden Blindheit geschlagen sind, dann werden sie diejenigen als ihre Freunde begrüssen, die ihnen ihre Entgötterung empfehlen.