Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 21. September.

Die österreichische Note hat bis jetzt nur eine zustimmende Antwort gezeitigt: die Deutschlands. «Deutschland ist bereit, an dem vorgeschlagenen Gedankenaustausch teilzunehmen.» Daran hat niemand gezweifelt. Die gegnerischen Mächte haben diese Bereitwilligkeit nicht zum Ausdruck gebracht. Nicht das sie erklärt hätten, sie wollen vom Frieden nichts wissen. Das taten sie nicht. Sie sprachen nur von ihren Bedingungen, deren Annahme sie vorher gesichert sehen wollen. Wilson erinnerte an seine vierzehn Punkte, Balfour forderte die deutschen Kolonien, und Clemenceau verkündete den Sieg des Rechtes.

In der deutschen Öffentlichkeit verurteilt man daher scharf die Eroberungstendenzen der Entente. Das passt so zu der «planmäßig vorgenommenen» Einstellung auf den Verteidigungskrieg. Nur vergisst man, dass die Verteidigungsidee erst neuesten Datums ist, trotzdem sich die unselig stümperhaften Wolffkommentare bemühen, an zwei bis drei Zitaten nachzuweisen, dass es den deutschen Machthabern immer nur um die Verteidigung zu tun war. Man will tatsächlich das lächerliche Unternehmen wagen, die wahnsinnigen Eroberungsabsichten, den Brester und Bukarester Frieden als nicht vorhanden, nie vorhanden gewesen, darzustellen.

Ich glaube nicht daran, dass die Entente, abgesehen von Elsaß-Lothringen, wirklich erobern will. Das Spiel mit den deutschen Kolonien erscheint mir eher als Drohung, als Druckmittel, denn als Programm, und die Zerstückelung Österreich-Ungarns dürfte als ein Hinweis dafür anzusehen sein, auf welchem Weg die Monarchie den Frieden finden kann. Natürlich trifft dies nur auf den gegebenen Augenblick zu. Wenn es der Entente gelingen sollte, den vollen Sieg zu erlangen, dürfte von Österreich-Ungarn und der Türkei nichts übrig bleiben, würde den Elsaß-Lothringern, den Polen und Dänen, wahrscheinlich auch den Eingeborenen in den deutschen Kolonien das Selbstbestimmungsrecht gegeben werden. Natürlich ist das Selbstbestimmungsrecht ein Postulat, das von uns Pazifisten zuerst aufgestellt und verfochten worden ist. Es fragt sich nur, ob es um den Preis solcher Opfer erkauft werden soll; ob nicht ein durch die Demokratie im Innern Deutschlands und durch den Völkerbund von außen gesicherter Rechtszustand der sich heute unterdrückt fühlenden Nationalstaaten diesen die Sicherheit und Freiheit gewähren würde, die sie durch die Selbstbestimmung erstreben.

Muss es vorher zu diesem Zusammenbruch kommen, durch den ja schließlich die ganze Welt in furchtbare Mitleidenschaft gezogen wird, gar nicht zu sprechen von den Opfern an Menschen, die sich allen auferlegt?

Die Entente will nicht um jeden Preis erobern. Sie will die Weltsicherheit. Diese hält sie nicht erreichbar ohne endgültige Demokratisierung Deutschlands. Aber das wäre doch zu erreichen. Es gäbe den Ausweg aus der Sackgasse, wenn Österreich-Ungarn mit der Föderalisierung und Demokratisierung im Innern Ernst machen und in Separatfriedensverhandlungen mit der Entente eintreten würde. Nicht in Form eines Konferenzanerbietens, sondern mit der Tatsache der neuen Föderationsverfassung und einem Anerbieten an Italien. Die Machthaber Deutschlands können dann nicht länger ein Hindernis für den demokratischen Umbau Deutschlands werden. Österreich-Ungarn könnte sich aber durch diese Tat zu einer hohen Stellung bei der Neugestaltung der Well emporringen. Es könnte als Völkerbund sich in den Weltvölkerbund organisch eingliedern und eine Garantie der Demokratie im Reich werden. Dies alles könnte jetzt heute noch geschehen. In wenigen Wochen kann es zu spät sein. Die Umwandlung Österreich-Ungarns zu einem Föderativstaat mag bitter sein für die Deutschen und die Magyaren. Aber lange nicht so bitter wie eine Veränderung des heutigen Status durch einen siegreichen Feind.