Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 23. April.

Nach einer kühlen Weigerung nun die Zusage. Die deutsche Regierung wollte unterhandeln. Da die Alliierten sie bloß zur Entgegennahme der Friedensbedingungen einluden, kündigten sie die Entsendung einiger Beamten an, die das Manuskript des Friedensschlusses abholen sollten. Aber gleich folgte seitens der Entente die Forderung, Delegierte zu entsenden, die ebenso genügend legitimiert und zur Unterzeichnung bevollmächtigt seien wie die Delegierten der Entente. Es wird also die große Friedenskommision entsandt werden. In den nächsten Tagen schon. Nicht am 25., auf den die «Bestellung» lautete, sondern einige Tage später. Man beginnt mit der Opposition schon vor den Verhandlungen. Gut so! Die deutsche Opposition gegen jenen Frieden, den man in Paris vorzulegen gedenkt, ist berechtigt. Sieht der Frieden so aus, wie er nach den Pariser Kommuniques aussehen muss, so ist er nicht nur ein Attentat gegen Deutschland, sondern gegen die Menschheit. Dann ist es kein Friede, ein Kriegsschluss nur, und nicht einmal ein sicherer. Von den vierzehn Punkten Wilsons findet da kein einziger seine Erfüllung. Auch vom Völkerbund ist kaum die Rede mehr. Die Opposition wird daher sehr angebracht sein. Und wenn sie nichts nützen, wenn Deutschland schließlich doch die Bedingungen anzunehmen gezwungen sein sollte, dann wird dadurch wenigstens aller Welt klar sein, dass dieser Friedensschluss kein Friede ist, und die Einsicht, ihn zu ändern, wird sich früher oder später doch einstellen.

Wie weit wir von jenem Frieden entfernt sind, den wir Pazifisten uns vorgestellt haben, lassen die vielen Gerüchte erkennen, die über künftige Allianzen laut werden. Nach der alten verruchten Methode sucht man schon wieder Zusammenschlüsse gegen jemanden. In Deutschland rührt sich, unzeitgemäß und taktlos wie immer, Liebe für Frankreich. Es scheint eine Parole ausgegeben zu sein. Während die Bevölkerung noch zum Wahnsinn getrieben wird über die viehische Behandlung der deutschen Gefangenen in Frankreich, empfängt der Reichspräsident Ebert einen Korrespondenten des «Temps», sagt ihm, was der Sozialismus Frankreich alles verdanke und drückt ihm die Hoffnung aus, «das sich auch gute Beziehungen zwischen beiden Ländern einstellen». Auch in einem Teil der Presse hat man sich bereits auf die Liebe zu Frankreich geworfen, und es geht das Gerücht, die französische Regierung habe in Berlin wissen lassen, man solle den Friedensvertrag nur unterschreiben, er sei «nicht so gemeint», und mit der Zeit werde sich noch manches ändern lassen. Einerlei, ob das wahr ist. Jedenfalls merkt man den alten Geist. Die alte Allianzpolitik gegen jemand, in diesem Fall gegen England. Die alten Pfuscher arbeiten also auch in der Republik.

Auf der anderen Seite wird wieder davon gesprochen, dass England, Frankreich und die Vereinigten Staaten zu einer Allianz sich verbündet haben. Wer glaubt da noch an einen Völkerbund?

Nun werden ja die nächsten Tage den Schleier lüften, das Weltelaborat, das nach dem ersten Punkt der vierzehn Wilsonpunkte öffentlich hätte zustande kommen sollen, wird nun, nach drei Monaten der Geheimarbeit, bald veröffentlicht werden. Wir werden es kennen lernen. In jedem Fall sind wir in die letzte Phase getreten. Die Gegner werden sich gegenüberstehen, und man wird, mehr oder weniger, verhandeln. Der Krieg nähert sich, wenigstens formell, seinem Abschluss. Dieweil wütet er in den besiegten Ländern weiter. München ist seit Tagen angeschnitten. Regierungstruppen zernieren die bayrische Hauptstadt. Krieg! Tschechen und Rumänen rücken als Beauftragte der Entente gegen das bolschewistische Budapest. Krieg! Ward je in solcher Stimmung ein Friedensschluss bewirkt?