Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 22. Oklober.

Die deutsche Antwort an Wilson — also die dritte deutsche Antwort — ist gestern abgegangen und veröffentlicht worden. Sie erklärt sich einverstanden zu Waffenstillstandsbedingungen, denen das «gegenwärtige Kräfteverhältnis an den Fronten . . . zugrunde zu legen ist.» Sie sucht, zu beweisen, dass die gegenwärtige Regierung von der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volks getragen ist, und das Gewähr für die Dauer gegeben sei in zu schaffenden gesetzlichen Bürgschaften und in dem unerschütterlichen Willen des deutschen Volkes. Das ist anzunehmen, ist wahrscheinlich; ob es aber für einen siegreich vordringenden Feind ausreicht? Der Erklärung fehlt das heilige Feuer. Sie ist korrekt und kleinlaut. Es ist der unwiderruflich vollzogene Bruch mit der Vergangenheit noch nicht bemerkbar. Sie ist zu konziliant für das Gewesene. Man möchte einen Fluch gegen die Verführer hören, eine Verurteilung des Einmarsches in Belgien, eine Verurteilung des U-Bootkrieges und der militärischen Greueltaten. «Wo Ausschreitungen Vorkommen, werden die Schuldigen bestraft.» Damit ist nichts gesagt. Nach so vielen, so harten Ausschreitungen. Man versteht in Deutschland noch immer nicht, worum es sich handelt. Nicht Einbekenntnis der Niederlage ist die Hauptsache, die braucht man nicht erst einzubekennen, sondern Einbekenntnis der Schuld. Die Männer, die diese Note gedrechselt, kleben noch zu sehr an der Vergangenheit, weil sie zu lange mit ihr identisch waren. Gebt uns neue Menschen, solche, die die Kriegspsychose nicht mitgemacht haben, die allein werden mit der siegenden Entente reden können.