Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. Juni.

Die Ereignisse der letzten Tage: Einnahme von Czernowitz durch die Russen, Bedrängung Griechenlands durch die Entente, Wirtschaftskonferenz der Entente in Paris, Sturz des Ministeriums Salandra in Italien, der zweite Jahrestag des Todes der Baronin Suttner, Luftbombardement von Karlsruhe und Trier, Fortdauer der Schlacht von Verdun.

Die Schlacht von Verdun dauert nun über vier Monate. Sie soll auf deutscher Seite bereits 165.000 Menschenleben erfordert haben.

Wir sind in der hundertsten Woche des Kriegs. Und das Zerschmettern, Zerreissen, Verschütten, Ersäufen zur höhern Ehre Gottes dauert fort. Ohne Ausblick, ohne Hoffnung! — Vor einigen Tagen den Herzog von Y. gesprochen, der in der Schweiz ist, um wegen des Friedens zu sondieren. Was ich von seinem Begleiter, dem Hofrat R. an Friedensforderungen hörte, erscheint mir diskutabel. Nur weiss ich nicht, wie weit das Auswärtige Amt mit diesen Forderungen im Zusammenhang steht.

Danach wäre die Friedensbasis:

Belgien herausgeben, Elsass-Lothringen unter einem süddeutschen Fürsten autonom, Verzicht auf Livland und Kurland, Grenzkorrektur im Osten, Polen autonom, Freigabe der Dardanellen und Abtretung eines Stückes Armeniens an Russland. Serbien unter der montenegrinischen Dynastie vereint und unter internationaler Garantie. Die Bagdadbahn in englisch-deutscher Gemeinschaft.

Der Herzog, den ich nachher sprach, meinte jedoch, man müsse noch hundert Milliarden Kriegsentschädigung fordern. Das wären nur 5 % des Nationalvermögens der Entente. Ich erwiderte, dass es auf die Summe nicht ankomme, sondern auf das Kriterium des Sieges, und des Besiegtseins das mit einer Kriegsentschädigung zusammenhänge. R. meinte nachher, man würde auch einen guter Handelsvertrag mit Russland nehmen, der mehr wert wäre als hundert Milliarden.

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Der Fall Förster endigte mit einem Sieg des Exkommunizierten und mit einer Niederlage derjenigen, die den Bannfluch gegen ihn geschleudert haben. Die Presse hat in ihren vornehmsten Organen Partei für Förster ergriffen und die akademische Jugend Münchens hat dem arg Geschmähten und Verleumdeten stürmischen Beifall gespendet. Es war eine Feuerprobe des neuen deutschen Geistes, für die man der ersten Sektion der philosophischen Fakultät, der die Urheberschaft dieses Konflikts zufällt, eigentlich Dank wissen muss. Ohne ihren voreiligen Protest wäre es gar nicht möglich gewesen, den Bann der Zensur zu durchbrechen und zum Ausdruck zu bringen, dass es noch modern Denkende in Deutschland gibt, mehr als man glauben möchte. Försters Verteidigungsrede vom 19. Juni ist ein Meisterwerk, und dass sie an einer deutschen Universität mitten im Krieg gehalten werden konnte, bezeichnet vielleicht einen Wendepunkt in der Kulturgeschichte unseres Volkes und unseres Erdteils. Förster konnte vom Katheder herab erklären, dass er ein radikaler Gegner der Tradition Bismarck-Treitschke sei, er konnte unter dem Beifall seiner Hörer Verwahrung dagegen einlegen, dass es Mangel an Vaterlandsliebe sei, wenn er eine andere Ansicht vom Heil des Vaterlands habe. Es gebe auch eine Vaterlandsliebe, bei der man es ruhig auf sich nimmt, als vaterlandslos zu erscheinen. - - Die exaltierten Patrioten, die heute glauben, den Patriotismus für sich gepachtet zu haben und sich durch ihr lärmendes Wesen so übel und für Deutschland so nachteilig bemerkbar machen, haben durch Försters mannhafte Rede den verdienten Klaps bekommen.