Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 27. Mai.

Das Wolff’sche Telegraphenbureau meldet aus Budapest, dass die meisten dortigen Blätter den Rücktritt Tisza’s als «einen Sieg der modernen demoktratischen Ideen» erklären. Sieg? Sieg? — Das ist ein großes Wort. Die nächste Meldung berichtet, dass der König sechs Persönlichkeiten zur Information empfangen habe. Lauter Grafen. Wo ist da der Sieg «moderner demokratischer» Ideen?

Aus Amerika wird gemeldet, Rockefeiler habe sich vorgenommen, einen Teil seines ungeheuren Vermögens dem Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete Frankreichs zu widmen. Als erste Gabe hat er zehn Millionen Dollar geschenkt. Nach einer Meldung aus englischer Quelle soll er dem Rockefeller-lnstitut 75 Millionen Dollar geschenkt haben. Fünfzig Millionen seien für das Rote Kreuz und für Kriegszwecke bestimmt.

Niemals hat Rockefeller zur Vermeidung und Bekämpfung des Kriegs nur einen Dollar gestiftet. Das ist die bittere Tragik, dass die Menschen mit Vorliebe bereit sind, die Schäden des Kriegs zu lindern, statt ihnen vorzubeugen. Vor dem Krieg hätten einige Millionen die Friedensbewegung mächtig machen können, heute sind selbst die 75 Millionen eines Rockefeiler nur Tropfen auf einen heißen Stein, nur eine schöne Geste. Die Toten werden durch die Millionen nicht mehr erweckt, der kulturfressende Hass nicht beseitigt und der materielle Schaden, der in die Milliarden geht (für Frankreich allein werden die materiellen Schäden auf dreißig Milliarden berechnet!), wird auch durch eine Rockefeller-Gabe kaum gemildert. Vorbeugen, Vorbeugen! Das wäre das Heil gewesen. Die größte Spende für das rote Kreuz wäre die gewesen, die es verhindert hätte, in Aktion zu treten. Das sollten sich die Millionäre für die Zukunft merken.