Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Wengen, 1. August.

Die Kundgebung des Grafen Czernin an die Presse ist entschieden das denkwürdigste Dokument, das während des Kriegs von seiten der Zentralmächte kundgegeben wurde. Schon die Erklärung, von der Schuldfrage nicht reden zu wollen, lässt es als solches erscheinen. Das bezeugt mehr den Friedenswillen und ein gewisses Verständnis für die Friedenstechnik als das gegenteilige Bestreben, zu Beginn jedes Annäherungsversuches die herausfordernde und salbungsvolle Erklärung von der eigenen Unschuld und von dem «ruchlosen Überfall» abzugeben. Wenn man sich nicht dazu aufraffen kann, das Maß der eigenen Schuld offen einzugestehen, tut man klüger, zu schweigen. Graf Czernin tut aber noch mehr: Er stellt als Grundprinzip eines Friedensschlusses «die Verhütung der Wiederkehr eines Krieges» auf. Er tut dieses gleichzeitig mit der Erklärung «die Demokratisierung der Verfassung ist ein Erfordernis der Zeit». Dadurch wird seinem pazifistischen Glaubensbekenntnis mehr Wert beigelegt, mehr Vertrauen entgegengebracht werden als jener Erklärung Bethmann Hollwegs vom 9. November 1916, die in ihrem Mangel an Zusammenhang mit allen andern Äußerungen des Kanzlers und seiner Politik die typische Botschaft war, bei der der Glaube fehlte. Wenn nicht alles trügt, ist Österreich-Ungarn jetzt zur Führung der Friedensschlusspolitik der Zentralmächte gelangt, und wenn seine Staatsmänner und die führenden Politiker die Bedeutung des Moments erfassen, so ist damit ein großer Schritt zur Friedensherstellung gemacht. Dann wird die Donaumonarchie die Brücke zwischen Deutschland und den Westmächten bilden. Graf Czernin hat erklärt, dass er einen Frieden ohne Deutschland nicht schließt, womit er Hoffnungen der Entente ersticken wollte und den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung trug. Aber wenn die Ententestaatsmänner die Lage verstehen wollten, müssten sie aus der unterschiedlichen Art der Kundgebung des österr.-ungarischen Staatsmannes erkennen, dass man an der Donau sich zwar von Deutschland nicht trennen wird, dass man aber dort den festen Willen und die Macht besitzt, dafür zu sorgen, dass eine alldeutsche Phantastenpolitik Deutschland nicht abseits treibt von dem österreichischen Friedenswillen.

Zur Fortsetzung der nun von Czernin eingeschlagenen Politik gehört unbedingt eine Tat, eine Tat, die das große Misstrauen zerstört, das seitens der Entente den Zentralmächten, namentlich Deutschland, gegenüber besteht. Es muss durch eine Tat die Furcht vor dem Aufleben der jenigen Elemente beseitigt werden, die man bei den Gegnern als Urheber jenes «schrecklichen Unglücks» ansieht, als welcher Graf Czernin den Weltkrieg bezeichnet. Solange drüben diese Furcht obwaltet, dass nach einer Erholungspause der Krieg von neuem vorbereitet wird, kann der Friede nicht kommen, nicht sofort kommen.

Graf Czernin müsste das «gigantische Werk», das er nach dem Friedensschluss in Angriff genommen wissen will, sofort beginnen lassen. Er müsste sofort mit konkreten Vorschlägen zur künftigen Staatenorganisation auf den Plan treten. Dazu braucht er Deutschland nicht. Den Friedensschluss muss er mit Deutschland gemeinsam machen, aber für die künftige Weltkonstellation ist die Politik Österreich-Ungarns frei.