Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 1. August.

Der Krieg, der mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien seinen Ausgang nahm, entwickelte sich heute vor einem Jahr durch die Kriegserklärung Deutschlands an Russland und Frankreich zum Weltkrieg. Der Tag von gestern und heute kommt wieder in seiner ganzen Erschütterung in Erinnerung. Am 31. Juli Nachmittag die allgemeine Mobilisierung in Wien. Das Verhängnis seinen Lauf nehmend. Telegraph, Eisenbahnen, Post plötzlich versagend. Abends die Ermordung Jaurès’. Die heisere Begeisterung halbwüchsiger Burschen auf den Strassen Wiens. Ich durchlebte die Stimmung noch einmal, die mich erfüllt hat, als ich das für nicht mehr möglich Gehaltene sich vollziehen sah. An diesem Tage geschah es. Krieg Deutschlands gegen Frankreich und gegen Russland. Es geschah mit überstürzter Raschheit, so dass man ob der Aussichtslosigkeit einer Rettung, eines Vernunfteingriffes verzweifelte. Es gab einfach keinen Ausweg mehr. Die Regiekünstler des Krieges triumphierten. Die Vernunft schwieg. Heute dauert die Katastrophe, die einem, damals nur auf einige Monate berechnet, schon schrecklich genug vorkam, ein Jahr, und es ist noch keine Aussicht auf ein Ende.

Wir müssen die Gedächtnisartikel der Schmocke über uns ergehen lassen, die uns dartun wollen, was uns dieses Jahr Grosses gebracht hat, wie wir uns selbst gefunden und selbst erkannt haben. Welche Gnade hat doch der Krieg über uns ausgegossen!

Aus Anlass des Jahrestages des Kriegsausbruches hat der Papst eine Enzyklika erlassen, «um den väterlichen Ruf nach Frieden auszustossen»:

«Im Namen des Heiligen Gottes, im Namen unseres Vaters und Herrn im Himmel, im Namen des gesegneten Blutes Jesu, des Preises der Erlösung der Menschheit, beschwören wir die kriegführenden Völker bei der göttlichen Vorsehung, dem entsetzlichen Blutbad, das seit einem Jahr Europa entehrt, von nun an ein Ende zu machen. Es ist Bruderblut, das man zu Lande und zu Wasser vergiesst ... Die schönsten Gegenden Europas, dieses Gartens der Welt, werden mit Leichen und Ruinen übersät».

Ein warmer Ruf zur Besinnung. Es scheint aber, dass der Abdruck in den Blättern der kriegführenden Ländern nicht gestattet ist. Ich habe ihn noch nirgends gelesen. Man lässt dort den Krieg nicht durch die wahre Schilderung seines Wesens beleidigen.