Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 30. Mai.

Präsident Wilson hat am 28. bei einer Versammlung der «League to enforce Peace» die erwartete Rede gehalten. «In der Friedensliga» wie die Zeitungen berichten. Für diese ist jede Friedensorganisation einfach die «Friedensliga». Wie jeder für den Frieden Wirkende ein «Apostel» sein muss. Diese petrifizierte Terminologie ist nur ein Beweis der tiefen Unkenntnis des Problems. Dementsprechend ist auch der Bericht unklar über die Rede. Man wird abwarten müssen, wie der Wortlaut aussieht. Allem Anschein nach hat Wilson erklärt, dass die Vereinigten Staaten den Grundsätzen der «League» zustimmen. Dieser Grundsatz besteht darin, dass die eine solche «Liga zur Erzwingung des Friedens» eingehenden Staaten sich verpflichten, gemeinsam gegen einen die Friedensorganisation brechenden Staat vorzugehen. Darauf bezieht sich wohl die Meldung, «dass die Vereinigten Staaten bereit seien, einer jeden Vereinigung von Nationen beizutreten, die ins Leben gerufen wird, um diese Grundsätze in die Praxis zu übertragen und sie gegen jede Verletzung zu garantieren».

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Und der «Pester Lloyd», das offiziöse Organ des österr. - ungarischen auswärtigen Amtes, schreibt: (27. Mai?)

«Wie gross und unabänderlich unsere Entschlossenheit war, den Streit mit Serbien so auszutragen, dass die verbrecherische Friedensbedrohung von dieser Seite ein für allemal ausgeschaltet würde, das mag Sir Edward Grey daran erkennen, dass wir in voller Aufrichtigkeit feststellen: auch wenn die russische Regierung ihre trotz scheinheiliger Zusicherungen und Beteuerungen heimlich fortgesetzte Mobilisierung unterlassen oder abgebrochen hatte, wäre Österreich-Ungarn auf keine Konferenz gegangen, sondern es hätte darauf bestanden, unbehindert von jedem Dritten seine Sache mit Serbien, entsprechend den Notwendigkeiten seiner künftigen Sicherheit auszutragen».

Auch in der offiziösen Erklärung sind diese Sätze durch Druck hervorgehoben.

Das also ist die Wahrheit! — Nicht weil man glaubte, dass Russland seine Mobilisierung fortsetzen würde, nicht weil man Misstrauen gegen Grey hatte, nicht weil man fürchtete, überstimmt zu werden, hat man den Konferenzvorschlag als unannehmbar bezeichnet, sondern weil man den Krieg wollte. Allerdings nur den Krieg mit Serbien allein. Dass man aber nicht wusste, dass es einen Krieg «entre-nous» in dieser Zeit der wechselseitigen Abhängigkeiten nicht mehr geben konnte, dass jede anarchische Handlung in Europa zu einem Weltbrand führen musste, das war das Verbrechen. Und dessen rühmt man sich heute noch? Mit dieser anarchischen Tat brüstet man sich heute, wo das Ende des Kriegs abhängig ist von dem Vertrauen, dass alle Staaten in einer künftigen Friedensorganisation des Erdteils setzen sollen? — —

Wo sind die Männer mit klarem Kopf, die solchen Frevel wenigstens jetzt noch hindern könnten? Die Welt in Brand stecken aus Unverstand und sich dessen noch rühmen ist wohl das Unerhörteste, das unserer Vorstellung zugemutet werden kann.

Wir wären auf keine Konferenz gegangen. Uns ist es lieber so. Wir sind stolz auf die zwanzig Millionen Leichen und Krüppel, auf die Vernichtungen in Galizien, Ostpreussen und Belgien und sonst in der Welt, auf die Last der 200 Milliarden, die auf der Welt lagern, auf den Hass, die Pestfäulnis, die sich über den sonst so blühenden Erdteil gelagert haben, stolz; denn wir wären auf keine Konferenz gegangen.