Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 20. Januar.

Auch von französischer Seite sah man sich veranlasst, zur Antwortnote an Wilson einen Kommentar abzugeben. Es geschah dies in einer Unterredung, die Präsident Poincaré einem amerikanischen Journalisten gewährte. Auch diese Äusserung legt das Gewicht auf die künftigen Garantien des Friedens. Wilson hat es in seiner Hand, nachdem er die englischen und französischen Äusserungen von den Schlacken des Kriegsstils gesäubert hat, nochmals an die deutsche Regierung heranzutreten, diese um ihre Kriegsziele zu befragen und um ihre Ansicht über die Garantien der Zukunft zu bitten. Hierin liegt allein noch die Möglichkeit, zu einem Verhältnis zu gelangen, das den neuen Krieg im Frühjahr mit seinen entsetzlichen Opfern sparen könnte.

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Der Doktor der Theologie, Traub, der während dieses Kriegs so viel getan hat, um den Kriegsgeist zu stärken und den Geist des Friedens zu vernichten, wendet sich jetzt in seinen, schwarz-weissrot umrandeten «Eisernen Blättern» direkt gegen den Pazifismus. Was er darin schreibt, ist die krasseste Verständnislosigkeit. Er hat von dem Problem keine Ahnung, nicht mehr als ein Kartoffelbauer von Göthes Faust. «Friedliebend» lautet die Überschrift des Flugblatts. Schon bezeichnend! Als ob Liebe zum Frieden mit Pazifismus etwas zu tun hätte. Den Frieden lieben alle. Viele aber erst nach dem Krieg, und auch dann noch immer unter ehrerbietigster Verneigung vor dem Krieg. Die Pazifisten wollen sich mit der Liebe zum Frieden nicht begnügen. Sie wollen ihn errichten, ihn zum Normalzustand der Gesellschaft machen. Pastor Traub verwechselt das Streben nach Beendigung dieses Kriegs, wie so viele, mit Pazifismus. Er hat etwas von der League to enforce peace gehört und setzt sich in Positur, das deutsche Volk zu warnen. «Wir verhalten uns sehr kühl und zwar weil wir den Frieden wirklich lieb haben» meint er. Und warum? «Jener Bund will ja nichts anderes als eine englisch-amerikanische Verständigung über die Staaten herbeiführen, die als Friedensstörer gelten.» Das ist ja schon eine Unwahrheit, dass er eine «englisch-amerikanische» Verständigung herbeiführen will. Er will eine Weltverständigung herbeiführen, der auch Deutschland und Österreich-Ungarn angehören können, wenn sie wollen. Und dass Deutschland es will, haben wir aus dem Mund des Kanzlers am 9. November 1916 gehört. Doch wird weiter verdreht:

«Nun müssten wir blind und taub sein, wenn wir nicht wüssten, dass Deutschlands Emporsteigen in den Augen jener Kreise als der Friedensstörer erscheint.»

Hier wird nun der Patriotismus gereizt, um Deutschlands Mitwirkung an dem Friedensbund zu verhindern! Es soll eben keiner emporsteigen, sich über die andern erheben! Wenigstens nicht mehr in der Zukunft. Deutschland ist zum nationalen Großstaat geworden. Wollte es mehr, wollte es zum Weltstaat werden, so stößt es auf den Widerstand der andern, die ihr Recht zum Leben verteidigen. Die Entwicklung hat ihre Grenze erreicht. Es gibt keinen Fortschritt mehr, der zum Nachteil aller andern wäre, sondern nur mehr einen Fortschritt im gemeinsamen Miteinander. Das ist keine Bedrohung, keine Benachteiligung Deutschlands, kein Hemmnis für seine Entwicklung. Ebensowenig wie das Miteinander Bayerns, Badens, oder der Hansastädte im Reich ein Hemmnis für die Entwicklung dieser Staaten geworden ist. Aber ein solcher Bund ist auch ein Schutz für Deutschland, das dem Emporsteigegelüsten eines andern Volks oder einer andern Rasse gegenüberstehen könnte, und diesen «Friedensstörer» zurückgewiesen sehen wird durch einen solchen Friedensbund, vor dem Herr Traub jetzt warnt. Will er in der Anarchie bleiben, will er dem Land zumuten, sich gegen solche Gefahren allein zu rüsten, nochmals solche Kriege zu führen, die selbst, wenn sie zum Sieg führen sollten, nur Ruin und Tod bedeuten würden und einen Trümmerhaufen, der des Schutzes gar nicht mehr wert wäre, so ist er kein glücklicher Ratgeber für Deutschland.

Der Wahnsinn des isolierten Staats, der sich einer Welt gegenüber behaupten soll, ist ebenso Wahnsinn wie jeder andre und erfordert die Zwangsjacke.

Und Traub säuselt dann lieblich weiter über einen Frieden, der uns schon eine Million Erschlagener gebracht hat und wer weiss wieviel noch bringen wird. Man höre:

«Von manchen lieben Menschen wird man heute missverstanden, wenn man sich grundsätzlich gegen die Bestrebungen der Friedensfreunde wendet. Man kommt in den Geruch eines Kriegsfanatikers. Auch wir wünschen, dass die Völker in Zukunft sich nicht mehr in solche entsetzliche Kriege stürzen möchten, und dass dieser Krieg den Krieg selbst verzehre und unmöglich mache. Auch wir arbeiten an künftigen Abmachungen zwischen den Staaten und Völkern. Aber kein einziger Staat der Welt hat sich heute dem Pazifismus verschrieben. Nirgends ist er eine Macht. Man redet freilich in England und Frankreich viel von ihm, um die gutmütigen Deutschen einzufangen, aber man handelt entgegengesetzt, und verteilt die Welt unter sich. Der unentbehrliche Schutz jeden wirklichen Friedens bleibt die Macht. Wo ein Staat vergässe, dafür zu sorgen, handelte er gewissenlos. Wer den Frieden lieb hat, der stärke die Macht.» usw. usw.

Was soll man dazu sagen? Vor dem Krieg konnte man sich eine solche Anschauung noch gefallen lassen, die in dem «si vis pacem para bellum» gipfelte. Aber heute, nachdem wir in Europa in einem Menschenalter hunderte von Milliarden ausgegeben haben für «die Macht», um den Frieden zu sichern, und doch zum furchtbarsten aller Kriege gelangt sind, heute ist solche Anschauung Verrat an der Menschheit.

«Kein einziger Staat hat sich heute dem Pazifismus verschrieben.» Das geht eben nicht! Herr Traub predigt für Deutschland die «stärkste Macht» und sähe gern, wenn ein andrer Staat sich dem Pazifismus verschriebe. Gibt es noch Menschen, die auf solche Ideen hineinfallen? Dem Pazifismus können sich die Staaten nicht einzeln verschreiben, er erfordert die Gemeinschaft. Und wenn man zu dieser Gemeinschaft von Amerika aus aufgefordert wird, kommt ein Traub und warnt davor als vor einer «englisch-amerikanischen Verständigung», um Deutschlands «Emporsteigen» zu hintertreiben.

Solche Zumutungen sind wahrhaftig eine Beleidigung für die klare Vernunft des deutschen Volks.