Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 15. Juli.

Das Wolff-Bureau verbreitet in der deutschen Presse eine aus Brüssel vom 12. Juli datierte amüsante Depesche folgenden Wortlauts:

«Die Flamen feierten gestern das Goldensporenfest, den Erinnerungstag an die Befreiung Flanderns vom französischen Joch. In allen Städten fanden gut besuchte Versammlungen statt, die zum Ausdruck brachten, dass das flämische Volk hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Aus allen Teilen Flanders liefen Huldigungstelegramme an den ,Rat von Flandern' ein.»

Der Reichskanzler hat ja vorgestern den Wunsch ausgesprochen, dass nach dem Krieg das wiedererstandene Belgien mit Deutschland «in guten freundschaftlichen Verhältnissen» leben möge. Diese freundschaftlichen Verhältnisse werden jetzt anscheinend in Belgien einexerziert. Glaubt aber ein Mensch in Deutschland wirklich daran, das, dass geknechtete und halbgemordete Belgien jetzt an keine andre Befreiung denkt als an jene vor bald einem Vierteljahrtausend erfolgte von einer damals als Joch angesehenen französischen Herrschaft? Glaubt wirklich einer daran? Vielleicht haben die Flandern das Fest jetzt mitgemacht, ihm aber einen andern, viel näher liegenden Sinn unterlegt. Unvorsichtig ist es jedoch, die Flamen jetzt an solche Feste zu gewöhnen. Das Fest der Befreiung vom deutschen Joch werden sie eines Tages mit solch unerhörtem Nachdruck feiern, dass es den deutschen amtlichen Kreisen etwas schwül dabei werde dürfte.