Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Axenstein, 10. August.

Die Italiener haben Görz genommen. Nach alten, militärischen Begriffen ein Erfolg, dessen Grösse dadurch gekennzeichnet werden muss, dass man sich besinnungslos gebärdet. Das wird in ganz Italien und bei seinen Verbündeten im reichsten Maße geschehen. Die Besinnungslosigkeit ist notwendig, denn sonst würde der Kritizismus erwachen, und man würde einsehen, dass die alten militärischen Begriffe heute keine Geltung mehr haben, man würde anfangen über die Opfer nachzudenken und vielleicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Erfolg diese Opfer nicht lohnt. Seit 14 Monaten stehen die Italiener vor Görz, vor dem Isonzo. In vier mächtigen Offensiven haben sie den Übergang zu erzwingen versucht. Sie dürften dabei die sechsfache Anzahl von Menschen geopfert haben als Görz Einwohner zählt und sicher ein Vielfaches an Werten als der materielle Wert dieser Stadt nach monatelangem Bombardement darstellt. Der ganze Vorgang ist Wahnsinn. Aber es gehört nun einmal zum Beiwerk militärischer Romantik, Eroberung von Städten als eine Grosstat anzusehen und einen besessenen Jubel darob zu inszenieren. Der Krieg ist eben zum Sport ausgeartet, er wird nicht um eines Ziels willen, sondern nur mehr als Selbstzweck geführt, als Podium für allerhand ehrgeizige Gelüste und Posen.

Das hier Gesagte bezieht sich nicht nur auf Görz. Es wird auch für Verdun Geltung haben, wenn dieser geographisch bestimmte Mauerhaufen von den Deutschen erobert werden sollte.

* * *

Die militärische Berichterstattung zeigt eine schreckhafte Fratze. Abschreckend wirkt der Siegeston, widerlich aber die Umschreibung einer Niederlage. Statt offen eine solche zuzugeben, wo sie ja, wie hier am Isonzo nach 14monatiger Verteidigung sicher keine Schande sein kann, wird sie rabulistisch-jesuitisch-talmudisch umschrieben. Wie kann man eine Meldung in die Welt senden, wie jene amtliche aus Wien vom 8. August, in der sich folgender Satz befindet:

«Um die brave Besatzung des Brückenkopfs, gegen die sich immer neue wütende Angriffe der Italiener richteten, vor grossen Verlusten zu bewahren, wurde sie heute auf das östliche Isonzoufer zurückgenommen.»

Der Verfasser dieses Satzes hat seine Feder in Rhizinusöl getaucht. — Nicht besser, wenn in der deutschen amtlichen Meldung nach dem Verlust von Thiaumont, immer nur von dem «früheren Werk Thiaumont» die Rede ist. Als ob dieses Werk, als man es deutscherseits erobert hatte und «fest in unserer Hand» hielt, weniger zerschossener Mauerhaufen gewesen wäre als jetzt, wo es als vom Erdboden verschwunden dargestellt wird, um seine Wesenheit erst wieder nach etwaiger nochmaliger Zerschiessung zu gewinnen, die zur Rückeroberung führen könnte.

Der militärische Geist wird dereinst durch die Beispiele des militaristischen Stils photographisch treu wiederzugeben sein.

* * *

Die «Wiener Zeit» veröffentlicht (29. Juli) folgende Mitteilung:

«Die Polizeidirektion gibt bekannt: Die Verbreitung der nichtperiodischen Druckschrift Vom Weltkrieg zum Weltfrieden* von Dr. Alfred H. Fried, Druck und Verlag Artistisches Institut Orell Füssli in Zürich, wurde eingestellt.»

Was werden sich die guten Wiener über die Gefährlichkeit dieser Schrift vorstellen, und wie werden meine Wiener Freunde heimlich zittern, dass ich entarteter Sohn des Vaterlands so revolutionäre Dinge schreibe, gegen deren Verbreitung die hohe Polizei einschreiten muss. Wie gerne möchte ich ihnen die Enttäuschung (nicht über mich, sondern über die Wiener Polizei gönnen, wenn ihnen dieses Buch zur Hand käme, das nichts anderes enthält, als zwanzig meiner Aufsätze, die bereits vorher in Zeitungen erschienen waren, und die man fast alle anstandslos in Wien hatte lesen können. Man scheint auch bei der Wiener Polizei nur den Titel für gefährlich zu halten. «Vom Weltkrieg zum Weltfrieden»! Pfui! Wie unpatriotisch ist es doch, im 25. Monat des Kriegs einen solchen Gedankengang auszusprechen! Pfui! Pfui! Staatsbürger!