Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 8. Dezember.

Wilson hat am 4. Dezember seine Jahresbotschaft an den Kongress gehalten, Bemerkungen über die äussere Politik aber unterlassen. Das geschah wohl zum erstenmal. Und wenn dies in einer Zeit geschieht, wo die Welt, wie noch nie, an ihrer auswärtigen Politik leidet, so muss ein gewichtiger Grund dafür vorhanden sein.

In der italienischen Kammer ist es der Regierung gelungen, die Besprechung der sozialistischen Motion, betreffend Anknüpfung von Friedensverhandlungen, zu vereiteln. Die Kammer vertagte die Besprechung auf sechs Monate. Diese Vertagung verrät keineswegs eine grosse Kriegslust des Volks. Im Gegenteil. Man fürchtet, das Volk könnte hoffen. «Die Kammer darf nicht Wünsche aussprechen, die auch nur im mindesten die Begeisterung und die Kraft des Landes verhindern könnten» sagte der Ministerpräsident Boselli.

Man darf nicht sprechen, weil man fürchtet, es könnten die wahren Gedanken zutage treten. Und diese trachten in allen Ländern nach Beendigung des Irrsinns. Die Verhinderung der Aussprache sagt mehr, als die Aussprache hätte sagen können. Die Regierungen befinden sich in allen Ländern in der gleichen Lage. Sie müssen den Schein der Kriegslust aufrecht erhalten, obwohl sie wissen, wie sehr das ganze Volk nach Frieden lechzt.

Und in England tritt der Jusqu’auboutist Lloyd George an Asquith’s Stelle. Ob es ihm gelingt, ein Kabinett zu bilden und wie dieses aussehen wird, werden die nächsten Stunden lehren.