Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 23. Juli.

Vierter Jahrestag des Ultimatums an Serbien.

Der Zar soll nun wirklich tot sein. Eine Meldung der Sowjetregierung in Moskau gibt zu, dass er am 16. Juli auf Grund eines Urteils der Sowjetregierung von

Jekaterinenburg erschossen wurde. ~ ~

Ich habe ihm im Juni, als die erste Nachricht von seiner Ermordung kam, hier einen Nachruf gewidmet. Dem habe ich nichts hinzufügen.

Emst hieß es — zwar wenig demokratisch aber doch ehrlich — «Der König hat eine Bataille verloren, jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.» Heute ist man weit entfernt davon, eine Schlappe offen einzugestehen. Der dritte Vorstoß der großen Westoffensive ist offensichtlich gescheitert. Warum gibt man das nicht zu? Warum führt man einen lächerlichen Veitstanz auf? Der Rückzug vom Südufer der Marne wird zum harmlosen «Uferwechsel» , als ob das maßlose Schlachten nur ein Gesellschaftsspiel wäre. Man hat sowohl vom Südufer der Marne wie aus Chateau-Thierry die Truppen «bei Nacht» , «vom Feinde unbemerkt» zurückgenommen. Anscheinend nur, um den Feind schäkernd zu frotzeln. Man meldet, dass der zur Gegenoffensive übergangene Feind seine Durchbruchsabsicht nicht erreichen konnte und meint, der Leser dieser Meldung vergibt darüber die eigene Durchbruchsabsicht und das Scheitern der eigenen Offensive. Man meldet, dass der Feind «schwerste Verluste» hatte, dass seine Kraftwagen in großer Anzahl» zerschossen vor unserer Front liegen» als ob keine Opfer auf deutscher Seite lägen und man dort nicht bereit wäre, irgendeinen Fortschritt mit Opfern zu erkaufen. Man meldet, dass «Hilfsvölker der Franzosen, Algerier, Tunesier, Marokkaner und Senegalneger» die Hauptlast des Kampfes trügen, man spricht von «schwarzen» und «weißen» Franzosen, von «schwarzen» Amerikanern und Engländern. Um die Minderwertigkeit des Gegners und seinen von überall herbeigezogenen Kraftansatz zu kennzeichnen. Und das alles nur um das Augenmerk des als unüberlrumpfbar naiv angesehenen Lesers von der Tatsache eines erlittenen Schlages abzulenken. Das naiv ehrliche «wir haben ein Bataille verloren» wird als zu archaisch abgelehnt. Hingegen bedient man sich anderer archaischer Redenarten, indem man immer die feindliche Nation in der Einzahl bezeichnet: «Der» Amerikaner erlitt große Verluste, «der» Italiener kam «dem» Franzosen zur Hilfe. Das ist der Singular des Wachstubenlateins einbeiniger Renommiersoldaten aus vergangenen Zeiten. Zu diesem Singular gehört auch das biedermeierische «anno dazumal». So sprachen die Veteranen aus den Freiheitskriegen beim Bier «Anno neun, als der Franzose auf Wien zog. «Was für lustiger und militärburschikoser Stil in dieser ernsten Zeit! Wahrhaftig, die Stilpsychologie der amtlichen Militärberichte wird später ein interessantes Studienobjekt werden.