Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

16. März (Zürich).

Das preussische Herrenhaus, die reaktionärste Kammer der Welt, die Hochburg des preussischen Junkertums, hat eine Sitzung abgehalten (15. März). Draussen stehen Millionen Streiter, die für die Freiheit des deutschen Volkes gegen den Zarismus zu kämpfen glauben, und drinnen tagt das preussische Herrenhaus. Das ist eine Dissonanz!

Der Präsident dieser Chambre introuvable hat in seiner Schlussrede ein wertvolles Bekenntnis abgegeben. Er sagte: «Wenn wir nichts weiter wollten, als die Feinde zurückschlagen, wäre es nicht allzuschwer, binnen kurzem Frieden zu erlangen. Damit kann aber Deutschland sich nicht zufrieden erklären. (Lebhafte allseitige Zustimmung). Wir stecken das Schwert nicht ein, bis Sicherheit vorhanden ist, dass die Nachbarn nicht wieder über uns herfallen.»

Am 4. August sagte der Kaiser zu den im Weissen Saal versammelten Reichsboten: «Uns treibt nicht Eroberungslust». In allen Äusserungen vor dem Krieg hiess es: wir sind überfallen worden, wir müssen die Feinde abwehren. — Nun haben wir sie abgewehrt, und der Präsident der ersten preussischen Kammer meint unter «lebhafter allgemeiner Zustimmung» des Hauses, dass man sich damit nicht zufrieden geben könne. Es müsse erst eine Sicherheit für die Zukunft geschaffen werden. Was er unter «Sicherheit» versteht, ist klar. Doch also Eroberungen, die natürlich das Gegenteil von Sicherheit bedeuten würden. Sie würden wie 1870/71 nur wiederum die Revanchelust anfachen und uns nötigen, das «mit dem Blute unsrer Söhne Errungene» immer neuerlich zu verteidigen. Ein Frieden, der Sicherheit bringt, kann nur mit der Zustimmung aller zustandekommen, nicht durch den von einer Seite ausgeübten Zwang. Das werden aber die Mitglieder des preussischen Herrenhauses nie zugeben.

Es ist ein Frevel, den Krieg noch fortzuführen, wenn es «nicht allzuschwer» wäre, binnen kurzem einen Frieden zu erlangen. Es ist ein Frevel, für imaginäre Sicherheiten noch mehr Opfer an Gut und Blut zu bringen.