Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. April.

Shakespeares 300. Todestag wurde in der deutschen Presse und auf allen deutschen Bühnen festlich begangen. Welch grosser Fortschritt gegenüber der zu Beginn des Kriegs von Reinhardt angestellten Rundfrage, ob Shakespeareaufführungen noch gestattet seien. Die Frage Reinhardts war damals falsch gestellt. Nicht ob man Shakespeare aufführen darf, weil wir mit England Krieg führen, hätte sie lauten dürfen, sondern ob der Krieg noch angebracht ist, da wir seit mehr als einem Jahrhundert Shakespeare spielen. Freilich war es nicht Reinhardt, dem es zufiele die Frage in dieser Form vorzubringen. Auch die, bei den jetzigen Festartikeln allenthalben vorgebrachte Betonung unserer Kulturfreundschaft, weil wir inmitten des Kriegs den englischen Dichter feiern, wäre besser unterblieben. Ein bisschen Schamröte darüber, dass wir bei solcher Kulturverquickung der Menschheit immer noch Krieg führen, wäre richtiger. Der Krieg ist das Sonderbare, nicht die Gedenkfeier.

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In Agram sind vier Frauen, eine Apothekerswitwe v. Benkö mit ihren drei Töchtern vom Landwehrgericht verurteilt worden, weil sie im Herbst 1914, als serbische Truppen nach Semlin kamen, diese festlich empfingen. Die vier Frauen, die mit den Serben abgezogen waren, fielen nach der Eroberung Serbiens in die Hände der österreichischen Behörden. Die Mutter wurde zu dreizehn Jahren, die Töchter zu acht Jahren verschärften Kerkers verurteilt.

Nach dem Krieg wird es eine der wichtigsten Aufgaben sein, dafür einzutreten, dass, falls nicht ohnehin eine umfassende Amnestie erfolgt, die während des Kriegs von Militär- und sonstigen Ausnahmegerichten gefällten Urteile einer Revision unterzogen werden.

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Die amerikanische Note wurde am Ostersonntag in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Von einem Ultimatum unterscheidet sie sich wenig. «Sofern die kaiserliche Regierung nicht jetzt unverzüglich ein Aufgeben ihrer gegenwärtigen Methoden des Unterseebootkriegs gegen Passagier- und Frachtschiffe erklären und bewirken sollte, kann die Regierung der Vereinigten Staaten keine andere Wahl haben, als die diplomatischen Beziehungen zur deutschen Regierung ganz zu lösen». Das ist, wie die deutsche Regierung sich auch entscheiden werde, eine Niederlage der militärischen Ultras in Deutschland. Sie führen das deutsche Volk zur Vertiefung des Kriegs oder zur moralischen Abdankung.