Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 11. August.

Gegen das Wolffsche Dementi über den Potsdamer Kronrat vom 5. Juli und über die Kenntnis der deutschen Regierung vom Inhalt oder der Tendenz des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien werden jetzt von allen Seiten Einwendungen vorgebracht. Der frühere amerikanische Fachdelegierte bei der amerikanischen Gesandtschaft in Konstantinopel Louis Euestein schreibt der «Times» (Berl. Tagbl. vom 8. August 1917):

»Der frühere italienische Gesandte in Konstantinopel Marquis Garroni erzählte mir, dass am 15. Juli 1914 Baron Wangenheim ihm mitteilte, dass vom Kaiser eine Zusammenkunft angeordnet wurde, an der Wangenheim teilnahm und in der der Krieg beschlossen wurde. Es sollte ein unannehmbares Ultimatum an Serbien gestellt und nach 48 Stunden der Krieg erklärt werden, . . . Wangenheim habe auch von einer Versammlung von Vertretern der Armee- und Finanz- und Industriewelt berichtet, die der Kaiser gefragt habe, ob sie bereit seien . . .»

Jetzt wird (Nach «Neuer Züricher Ztg.» vom ll.Aug.1917.) ein Telegramm Take Jonescus, dem Vizepräsidenten des rumänischen Kabinetts veröffentlicht. Er erinnert daran, dass er im Juli 1914 in London war und dem Herausgeber der «Times» gegenüber erklärt habe, dass er seit einem Monat wüsste, dass Österreich den Krieg um jeden Preis wolle. Er sah damals den deutschen Botschafter in London, Fürst Lichnowsky, täglich.

«Ich bin in der Lage zu wissen,» so fährt Jonescu fort, « dass das Ultimatum an Serbien in Berlin bekannt war, und gebilligt wurde, dass v. Tschirschky an seiner Aufsetzung teilnahm, dass er der Ansicht war, dass Serbien es nicht annehmen könne, während die Deutsch-Österreicher fürchteten, dass es dasselbe trotz allem annehmen werde. Fürst Lichnowsky der persönlich den Frieden wünschte, bat mich an dem Tag vorher, an dem man das Ultimatum überreichte, an Pasitsch zu telegraphieren und ihm den Rat zu geben, das Ultimatum anzunehmen; ich sollte ihm im Namen des Fürsten Lichnowsky versprechen, dass die harten Bedingungen des Ultimatums bei seiner Anwendung gemildert würden.»

Bezüglich der Kenntnis des österr.-ungarischen Ultimatums an Serbien seitens der deutschen Regierung und dessen Billigung besteht ein einwandfreies Zeugnis in einer Äußerung des deutschen Gesandten Grafen Bernstorff in Washington. In der amerikanischen Wochenschrift «The Independent» vom 7. September 1914 (Nummer 3430 des 79. Bandes) befindet sich ein Aufsatz, der überschrieben ist:

«GERMANY AT THE GREAT WAR BY THE IMPERIAL GERMAN AMBASSADOR.»

Der Aufsatz besteht aus Antworten des deutschen Gesandten auf Fragen, die die Redaktion der Wochenschrift an ihn gerichtet hat. «The Independent has asked count J. H. von Bernstorff to reply to certain questions, which have been much discussed in the press, and he has kindly consented to do so. The public will appreciate the frankness and difiniteness with which he answers our queries.» So lautet die dem Aufsatz vorgedruckte Vorbemerkung des «editors».

«Die erste dieser Fragen lautet: Did Germany approve in advance the Austrian ultimatum to Servia? Die Antwort darauf lautet:

«Yes.»

Hierauf folgt nach dem Satz «Germanys reasons for doing so are the following» eine längere Erläuterung über Deutschlands Gründe für seine Haltung.

Ich habe mir damals den Aufsatz herausgeschnitten und in Voraussicht seiner späteren Wichtigkeit in meinem Archiv aufbewahrt.