Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 1. Juni.

Am 29. Mai wichtige Debatten im Reichstag. Die Meinungen über Gebietserweiterungen platzten gegeneinander. Die Sozialdemokraten sagten wieder, wir wollen nicht erobern, weil Eroberungen die Festigkeit des Friedens beeinträchtigen. Die Junker, die den Grafen Westarp ihre Anschauungen vertreten liessen, sagten, sie wollen auch keine Eroberungen, nur Gebietserweiterungen. Diese seien notwendig als reale Garantien dafür, unser Haus fester als vorher zu machen. Leider bewegten sich auch die Äusserungen des nationalliberalen Redners nach dieser Richtung. Ihm gilt es auch: «reale greifbare Sicherheiten zu schaffen dafür, dass die Gefallenen nicht umsonst gestorben sind». Also wir haben Belgien besetzt zu unsrer Verteidigung, das kostete ungeheure Opfer an Menschenleben; damit diese nicht umsonst gebracht sein sollen, müssen wir von der Verteidigung zur Eroberung übergehen. «Wir müssen», so sagte der nationalliberale Redner, «einen festen Wall gegenüber allen denen aufrichten, die uns jetzt überfallen haben». Ja, das ist richtig! Aber der feste Wall ist das Recht! Gebietserweiterungen in Europa heisst die Verewigung und Zuspitzung der Gewalt! Ein Zustand, der durch Eroberungen in Europa begründet werden soll, wird unerträglich für die Menschheit werden. Wir schützen dadurch die kommende Generation nicht, wir opfern sie, wie die Politiker, die Elsass-Lothringen annektiert haben, die Völker Europas mit der Last der Rüstungen beschwerten und die heutige Generation hinopferten. Deutschland ist noch immer nicht erwacht! Mächtige Einflüsse scheinen es auf den Weg der alten Gewaltpolitik weiterführen zu wollen, die durch diesen Krieg so fürchterlich Schiffbruch gelitten hat. Wenn diese Ideen noch lange oben bleiben, dann kann dieser Krieg noch lange währen und unabsehbares Blut kosten.

Die Reichsregierung hat die «Lusitania»-Note der amerikanischen Regierung beantwortet. Keinerlei Entgegenkommen, Beharren auf dem eigenen Standpunkt. Nur für den Fall «Gulflight» wird erfreulicher Weise auf die Haager Abkommen über internationale Untersuchungskommissionen hingewiesen.

Baron Chlumetzky in Wien schreibt einen Preis von 10,000 Kronen für denjenigen österreichischen Soldaten aus, der die erste italienische Fahne erbeutet. Ein Italiener namens Bartolomeo Janetti einen Preis von 1000 Lire für die Bemannung des ersten italienischen Unterseeboots, das ein österreichisches Schiff versenkt. Sehen denn die Leute nicht ein, wie sie mit diesem Kss-Kss den Krieg erniedrigen? — Dabei kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, wie wohltuend solche Geldspenden gewirkt hätten, wenn sie der austro-italienischen Verständigungsarbeit zugute gekommen wären. Aber die Vernichtungsarbeit erscheint diesen Leuten unterstützungswürdiger.

D’Annunzio ist vom italienischen Generalstabschef als Leutnant seinem Stab zugeteilt worden. Also gut im Trocknen, nicht wie er es so poetisch dem Volke sagte, auf einem Kriegsschiff, um in der geliebten Adria zu versinken. Die Schürer und Hetzer haben niemals die Plätze in den vordersten Schützengräben bevorzugt.