Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 15. März.

Nun hat auch Österreich-Ungarn die diplomatischen Beziehungen zu Portugal abgebrochen. Man fragt sich erstaunt: Wozu? Welche Gegensätze trennen die Donaumonarchie von der lusitanischen Republik? Bloss aus ritterlicher Höflichkeit dem Bundesgenossen gegenüber darf man doch keinen Krieg erklären. Es wird immerhin einige österreichisch-ungarische Staatsangehörige in Portugal geben, die durch die Kriegserklärung ihrer Regierung in ihrer Existenz bedroht werden. Und wenn sie nur belästigt würden, hat man Rücksicht auf sie zu nehmen. Deutschland hat es bis jetzt unterlassen, Italien, das ja den Treubruch gegen Deutschland im selben Maß begangen hat wie gegen Österreich-Ungarn, den Krieg zu erklären. Die Staatsmänner der Doppelmonarchie sollten auch den Schein vermeiden, als stünden diese zu Deutschland in einem Vasallenverhältnis.

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Eine Nachricht von tiefer Bedeutung: Admiral von Tirpitz erkrankt, er soll den Dienst verlassen. — Das bedeutet am Ende den Sieg der Staatsleitung über den Militarismus. — Das bedeutet vielleicht den Frieden! — —

Die Volksbetrüger und Volksvergifter sind emsig am Werk. Unter dem Schutz des Burgfriedens vermögen sie sich «auszuleben».

Da kommen mir die «Frankfurter Nachrichten» (vom 9. März) zur Hand, die das schöne Rundschreiben der Regierung von Frankfurt a.O. (sieh oben 25. Februar) gegen die Verständigungstendenzen in der Schule veröffentlichen und folgenden Zusatz zu machen sich erdreisten:

«Ein rechtes Wort zur rechten Zeit! Der Deutsche muss aus diesem Krieg lernen, dass er wegen seiner Tugenden von seinen Feinden gehasst wird und dass er gar keinen Grund hat, sich vor diesem Hass zu fürchten, sondern dass er ihn als eine Quelle neuer nationaler Erstarkung und Einigkeit betrachten darf. Wir Deutschen haben wahrhaftig keinen Grund, jemandem nachzulaufen. Jetzt nicht und nie! Jetzt aber doppelt nicht!»

Ist das nicht die unerhörteste Verlogenheit, eine an Verbrechertum grenzende Verwirrung der öffentlichen Meinung? Der Deutsche wegen «seiner Tugenden gehasst»! Das soll aufreizen, soll durch Zorn verblenden und dazu beitragen, den Hass noch mehr zu entfachen und in letzter Folge also noch mehr deutsche Jünglinge auf die Schlachtbank treiben. «Nachlaufen»! Besteht Verständigung im Nachlaufen des Einen nach einem Andern, der von jenem nichts wissen will? Oder heisst Verständigung Aufklärung, sich verstehen lernen, sich entgegenkommen?

Man unterschätze solche Äusserungen nicht! Sie sind Platzgeschosse, die eines Tages auseinanderkrachen und unser Volk töten. Verwaiste Mütter, Fauen, Bräute, Kinder! Hinter solchen Worten stecken die Mörder Eurer Teuren!

Einer der «diesen Krieg in vorderster Linie mitkämpft4), der sich vergegenwärtigt all das Elend, all den unsagbaren Jammer, den ein moderner Krieg ... hervorruft» — also nicht einer, der wie jener Tintenbursch, hinter dem wohlgeschützten Schreibtisch sitzt, hat die Frage der «Unbeliebtheit der Deutschen, über die uns gerade der jetzt entbrannte grosse Krieg jäh die Augen geöffnet hat» von einem andern Gesichtspunkt aus ins Auge gefasst.

Er schrieb:

«Jedes Ding hat seine Ursache, und so müssen wir auch diesen uns entgegengebrachten Hass verursacht, zum Teil wohl auch verschuldet haben. — Nach dem Frieden wird Zeit genug sein, sich über die Gründe zu unterhalten, und nicht der letzte Gewinn des Kriegs wird es hoffentlich sein, dass der Deutsche nach dieser Richtung Einkehr bei sich hält, und seine Fehler zu erkennen und zu bessern sucht».

Diese Worte eines Mannes, der sein Leben in diesem Krieg hingegeben hat, werden dem deutschen Volk mehr gelten als die jenes andern Heimkriegers, mit seinem hohlköpfigen «Nicht nachlaufen, jetzt nicht und nie!»


4 Frhr. Marschall v. Biberstein, Hauptmann im 1. Garde-Regiment z. Fuss, gefallen am 11. November 1914. Siehe FW. 1914, S. 362