Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 16. Januar.

Eine Pause von zehn Tagen in den Eintragungen. In der Zwischenzeit Vieles erlebt und gesehen. Die «Zürcher Nachrichten» nannten mich als den Verfasser des Aufsehen erregenden Artikels «Friedensgedanken» in der «Neuen Zürcher Zeitung». «In eingeweihten hiesigen Kreisen weiss man, (die Korrespondenz war aus Wien datiert), dass der Verfasser ein Herr Alfred Hermann Fried ist ...» Weiss man!— Und «ein Herr» A. H. F. Der Schreiber, der das so genau «weiss», hat offenbar meinen Namen noch nie gehört. Er bemüht sich, dem Leser eine Charakteristik meiner Person zu geben, die Heiterkeit erregen könnte. Ich stehe jenem Artikel aber ebenso fern wie der Erschaffung der Welt. Wer offene Augen hat, musste das sofort erkennen. Er enthält nicht die geringste pazifistische Andeutung. Die Vorschläge beschränkten sich auf Länderverteilung, kurz auf jenen Frieden, der von dem pazifistischen Friedensbegriff so himmelweit verschieden ist wie eine Kuh von einer Mohnblume 3). Dennoch ging diese Nachricht durch die gesamte Presse. Mein Dementi jedoch nicht. Das blieb unterwegs stecken. Der Vorfall hat mich wieder über den unheilvollen Einfluss der Presse belehrt, über die Gewissenlosigkeit, mit der haltlose Kombinationen als Tatsachen ausgegeben werden, und wie jeder Landstreicher die Möglichkeit besitzt, unter dem Schutz der Anonymität jedermann zu beleidigen und zu verleumden. Die «Frankfurter Zeitung», die die Zürcher Mitteilung über meine Verfasserschaft als auffallendes Telegramm brachte, fügte noch hinzu, ihre eigenen Informationen bestätigen es, dass ich der Verfasser jenes Artikels sei. Bei den offiziösen Beziehungen dieses Blattes ist das um so unerhörter. Meine telegraphische Berichtigung wurde nicht gebracht.

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Die «Kreuzzeitung» (14. Januar) leistet sich unter dem Schutze des Burgfriedens die Schändung einer Toten. Aus einzelnen, offenkundig unverstandenen Sätzen aus den «Randglossen» vom Februar und März 1914 der Baronin Suttner, aus der der natürlich anonym bleibende Verfasser — er zeichnet als J. Wn. — eine «österreichische Offizierswitwe» (!!) macht, wird versucht, die «gefährliche Verstiegenheit der Friedensengel» darzulegen. Es lohnt sich kaum, auf das feige Machwerk näher einzugehen. Nur um zu zeigen, welche Perfidien unter dem Schutze des «Burgfriedens» möglich sind, sei aus dem Artikel — er betitelt sich «Gefährliche Friedensfreunde» — hier Folgendes erwähnt. Als den Kern aller Friedensarbeit bezeichnet der edle Anonymus die Eitelkeit:

«Man war als Vertreter hoffnungsreicher Hochziele und hehrer Menschheitsgedanken immer im Mittelpunkt gedruckter Erörterungen, man schrieb und verfasste Friedenserklärungen, man veranstaltete Versammlungen und besuchte festliche Zusammenkünfte, bei denen es nicht wenig hoch herging; der geschäftige Draht trug die Namen der Teilnehmer nach allen Richtungen der Windrose, und empfing man dann zu allem Überfluss dank dem lärmenden Gebahren noch den Nobelpreis, dann war das Geschäft (!) richtig. Dann hatte das nebelhafte Ziel, für das man im tönenden Wortschwall und in heisser Leidenschaft kämpfte, auch noch einen nützlichen Hintergrund».

Was soll man zu einem Menschen sagen, der solches zu schreiben, was zu einem Blatte, das in dieser Zeit, die alle Warnungen der Friedensarbeiter so bitter und blutig bestätigt, solches zu drucken wagt?

Eitelkeit als Triebfeder der Friedensarbeit! Das müssen schlechte Rechner sein, die da auf ihre Kosten zu kommen suchen. Bei den Vertretern und Verkündern des Kriegs ist da mehr zu holen. Die Friedensbewegung hat keine Ämter zu vergeben, keine Orden und Titel, sie arbeitet nicht mit den Milliarden der Kriegsparteien und Rüstungsfirmen. Der Nobelpreis? — Nun in den fünfzehn Jahren seines Bestandes sind 17 Personen, die zehn verschiedenen Nationen angehören, damit ausgezeichnet worden. Sämtliche im Alter von 50—80 Jahren, nach 20 bis 50 jähriger Arbeit. Das sind wahrhaftig geringe Chancen für Spekulanten. Das hätte sich ja der Anonymus selbst ausrechnen können, wenn er überhaupt seine Behauptung hätte begründen wollen. Ihm war es aber sichtlich nur darum zu tun, die «gefährlichen» Leute, die für den Frieden der Völker arbeiten, in der Öffentlichkeit herabzusetzen, sie zu verleumden, damit ihnen ihr verderbliches Werk um Gottes willen nicht gelingt! Ausspeien!


3 Meine Tagebucheintragungen darüber vom 28., 29. und 31. Dezember konnten missverstanden werden. Ich erachtete die in jenem Artikel enthaltenen Bedinungen keineswegs als geeignete Grundlage des Friedens, sondern nur als Grundlage für eine Erörterung. Das erschien mir als das Erfreuliche daran, und das habe ich deutlich ausgedrückt. Ich ging von dem Gedanken aus, dass auf jene Vorschläge Gegenvorschläge folgen könnten und schliesslich ein Kompromiss, der den Dauerfrieden begründen würde.