Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 29. November.

Der Geburtenrückgang in den Monaten April, Mai, Juni und Juli dieses Jahres beträgt nach der Statistik aus 24 deutschen Städten ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr. Dieses Manko eines Fünftels an Geburten auf die Dauer eines Jahres berechnet gibt ein Minus von 400.000 Geburten. Auch diese Nichtgeborenen sind zu den Toten zu zählen, die der Krieg der deutschen Volkskraft raubt. Bei der Bilanz der Lebensvernichtung durch den Krieg dürfen diese Opfer nicht vergessen werden. Aber auch jene nicht, die fern von den Schlachtfeldern als indirekte Opfer fallen. Es wird eine erschreckliche Zahl sein, die uns entgegenstarren wird. Man wird einsehen, dass das «Stahlbad» des Kriegs eigentlich ein Siedekessel ist, der den Leib des Volkes verbrennt. Wehe den Quacksalbern, die das Unheil angerichtet haben!

Zwei Briefe, die mich an einem Tage erreichten. Der eine: «Setzen Sie mich doch in die Lage, ein wenig Hoffnung zu gewinnen, dass ich doch vielleicht in absehbarer Zeit meinen lieben, braven Mann nach einer 15monatigen Trennung wieder sehen kann».

Der andere: Mutter Schlaganfall erlitten. Ärzte geben keine Hoffnung mehr. Könnte der in England internierte Sohn nicht auf Ehrenwort entlassen werden?

Die beiden Briefe bilden nur einen winzigen Ausschnitt aus dem millionenfachen Weh der leidenden Menschheit. Und keine Aussicht auf ein Ende dieses Wehs. Wohl ist jenen, die an der Unabwendbarkeit des Krieges, an seine Naturgesetzmässigkeit glauben können. In uns kocht die Empörung, weil wir die Drähte sehen, und die gewissenlosen Drahtzieher kennen. Fluch ihnen!