Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. April.

Der schwerstwiegende Einwand gegenüber den Versprechungen des Reichskanzlers, die innere Neurichtung nach dem Krieg vorzunehmen, war immer der Hinweis, dass der Kanzler seinen Posten nicht ewig behaupten werde, und ein neuer Kanzler sich um die Versprechungen des alten nicht zu kümmern brauche. Diesem Einwand wurde nun die Spitze abgebrochen dadurch, dass jetzt der Kaiser selbst in seinem an den Reichskanzler gerichteten Erlass vom 7. April des letzteren Versprechungen sozusagen garantierte.

Der Erlass stellt in Aussicht die Abschaffung des Klassenwahlrechts in Preußen, dessen Ersatz durch unmittelbare und geheime Wahlen und Ergänzung des Herrenhauses durch Vertreter aus verschiedenen Kreisen und Berufen des Volkes.

Die Reform soll verschoben werden bis zur Heimkehr der Krieger, die Vorbereitungen sollen jedoch unverweilt abgeschlossen werden.

Der Erlass bringt nicht die sofortige Reform, nicht das allgemeine und nicht das gleiche Wahlrecht, es hält das Herrenhaus aufrecht und lässt naturgemäß die erwarteten großen Reformen im Reich ganz außer Acht.

Der Erlass ist eine Konzession, aber keine Erfüllung. Immerhin der erste Schritt zu dieser. Er berechtigt zu Hoffnungen, dass auch in Preußen die Demokratie siegreich aus diesem Krieg hervorgehen wird!

Noch eine Kriegserklärung! — Kuba!

Wichtiger ist die Meldung aus Petersburg, dass Miljukow bei der türkischen Regierung wegen Armenien und der Freiheit der Meerengen eine Anfrage gerichtet hat. Das wäre der Verzicht auf den Besitz Konstantinopels. Allerdings soll Miljukow im selben Interview einen Friedensplan aufgestellt haben, der einer Zerstückelung Österreich-Ungarns gleichkommt. Ich vertraue so fest auf den ehrlichen Pazifismus Wilsons, dass mir seine Bundesgenossenschaft mit der Entente die sicherste Garantie gegen die Vernichtungspläne ihrer Staatsmänner bedeutet.