Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. Mai.

«Der Friede von Bukarest» ist am 7. Mai im Schloss Cotroccni unterzeichnet worden, in dem selben Saal, so wurde es mit bekanntem Takt von der deutschen Telegraphenagentur verkündet, in dem vor eindreiviertel Jahren der Beschluss zum Krieg gefasst wurde. Der Bukarester Friede bedeutet die Strangulierung Rumäniens, und der ganze Vertrag ist ein Hohn auf die im ersten Artikel enthaltene Floskel, wonach «die vertragschließenden Teile entschlossen» sind, «fortan in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben». In Frieden und Freundschaft! Welche Ideen haben die Unterzeichner dieses Schriftstückes vom Völkerfrieden, seinen positiven Grundlagen und seinen psychologischen Voraussetzungen! Nichts weiter hat sich hier, wie bei allen bisherigen Friedensschlüssen, ereignet, als eine Regulierung des Nicht-Kriegszustandes. Von einer Friedenserrichtung ist keine Rede. Rumänien ist seiner Selbständigkeit beraubt worden und bleibt ein deutscher Vasallenstaat, solange die Situation es hindern wird, sich von den drückenden Bestimmungen zu befreien. Rumänien soll nach der militaristischen Denkmethode eine Friedenssicherung für Deutschland werden, und wird, wie der gesamte Osten, nichts anderes sein, als die größte Gefahr für Deutschland, der nur durch große und dauernde Rüstungen einigermaßen wird vorgebeugt werden können.

Kriegsentschädigungen werden dem unterjochten Land nicht auferlegt, aber die vertragschließenden Teile verzichten gegenseitig auf den Ersaß ihrer Kriegskosten, d. h. dass die von der Besatzungsarmee in Rumänien gemachten Requisitionen, die den Betrag von einer Milliarde betragen sollen, nicht bezahlt werden. Außer den offen eingestandenen Annexionen in der Dobrudscha werden versteckte Annexionen unter der Bezeichnung von Grenzberichtigungen an Ungarn vorgenommen, die als unbedeutend hingestellt werden, da sie nur wenig bewohnt sind, deren Waldbestand jedoch, nach einer neiderfüllten Äußerung des Grafen Reventlow in der «Deutschen Tageszeitung», drei Milliarden wert sein soll. So wird Tisza noch «Mehrer des Reichs».

Die wirtschaftliche Strangulierung des armen Landes, dessen Bevölkerung die Sünden einiger Weniger zu tragen hat, die sich am Kriege bereichern wollten, kommt aber erst deutlich zum Ausdruck in den Wirtschaftsverträgen, deren Wortlaut noch nicht veröffentlicht, deren Inhalt aber aus den Bestimmungen des Präliminarfriedens ersichtlich ist. Die den Reichtum des Landes bildende Petroleumindustrie und die Getreideproduktion kommen ganz in deutsche Hände.

Und trotz all dieser erdrückenden Bedingungen wird das Land nicht etwa von der Herrschaft des fremden Militärs befreit. Die rumänischen besetzen Gebiete werden nach Kapitel 5 des Vertrages, erst «zu einem später zu vereinbarenden Zeitpunkt geräumt», und troß der hier festgelegten Unbestimmtheit der Dauer der Besetzung werden die Kosten für die Unterhaltung des Besatzungsheeres Rumänien auferlegt. Den Anordnungen des Befehlshabers des Besatzungsheeres ist von den rumänischen Behörden Folge zu leisten.

Wie weit ist dieser Friede entfernt von den von Wilson aufgestellten vier Grundsätzen, die sowohl vom Reichskanzler Hertling wie vom Grafen Czernin als Friedensbasis akzeptiert wurden; wie steht er namentlich im Widerspruch zu der unter Punkt 4 aufgestellten Forderung, wonach die nationalen Bestrebungen befriedigt werden sollen,

«ohne neue Keime der Zwietracht und des Antagonismus zu säen, oder alte fortbestehen zu lassen, die eventuell dem europäischen Frieden und infolgedessen dem Frieden der Welt ein Ende machen können!»