Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 11. September.

Eine «Zentralstelle für Völkerrecht» ist in Berlin gegründet worden, die ihren mit zahlreichen Unterschriften versehenen Aufruf zugunsten eines dauernden Friedens auf Grund einer befriedigenden Ordnung der internationalen Beziehungen in den Zeitungen veröffentlicht. Erfreulich, dass dieser Aufruf gedruckt werden durfte. Die Namen, die darunter stehen, sind alle wohlbekannt. Lauter überzeugte Kämpfer gegen die Unvernunft des Kriegs.

Dass auch Umfrids Name darunter steht, gab einem seiner Amtsbrüder Anlass, einen offenen Brief gegen ihn zu veröffentlichen, der hier aufbewahrt werden soll. Ich entnehme ihn der «Schlesischen Zeitung» (1. Sept.). Er lautet:

«Sehr hochverehrter Herr Amtsbruder! Heute lese ich einen Auszug aus dem Aufruf der Zentralstelle ,Völkerrecht’. Der Aufruf trägt auch Ihre Unterschrift. Ich kann mir's nicht versagen, als evangelischer Geistlicher, nicht bloss mein Bedauern, sondern auch meine gerechte Entrüstung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass auch ein Standesgenosse zu jenen kurzsichtigen Leuten gehört, die unserem Volk durch ihr Treiben den schweren Kampf um seine Existenz verlängern. In dem Aufruf steht: ,Dazu ist erforderlich, dass er (der Friede) von allen Beteiligten als eine befriedigende Ordnung ihrer internationalen Beziehungen anerkannt werden kann . . . !'

Ich vermag mich nicht in die Psyche eines Menschen zu versetzen, der einen solchen Frieden für möglich hält. Einen solchen Frieden hat’s in der Weltgeschichte niemals gegeben; man kommt in Versuchung, wenn man solche Sätze liest, alle gute Erziehung zu vergessen und unparlamentarisch zu werden. Schliesslich geht doch Ihr und Ihrer Gesinnungsgenossen Streben darauf hinaus, dass unser Volk alle Opfer dieses ihm aufgezwungenen Kriegs umsonst gebracht haben sollte, dass nicht unsere Feinde, sondern wir Deutsche alle die Milliardenlasten allein auf uns nehmen und so Jahrhunderte lang zu allen grösseren Kulturaufgaben aus Armut unfähig sein würden. ,Die friedliche Erledigung künftiger internationaler Streitigkeiten auf dem Wege geordneter Vermittlungen oder rechtlicher Entscheidung' ist ein Traum, der nie verwirklicht werden kann. Denken Sie an den Haager Friedenspolast mit den Bildern des Zaren und Eduards. Als Geistlicher müssten Sie wissen, dass, solange Menschen auf Erden leben, die Sünde herrscht, und so lange das geschieht, wird auch die Obrigkeit das ihr von Gott verliehene Schwert gebrauchen müssen. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Räbiger, P.; Hundsfeld.»

Wie überlegen sich diese geistige Armut gibt, wie breit und wohlgefällig hier abgeplattete Gemeinplätze mit unerträglicher Borniertheit von sich gegeben werden!

Was wird mit diesen Preisern des Gurgelabschneidens und der Bauchaufschlitzerei geschehen? Wie wird man sie unschädlich machen? Wie das Volk von ihrem Einfluss befreien?

Mit «gerechter Entrüstung» begründet der Religionshüter diesen Erguss. Möge doch diesem Manne bald klar werden, mit welch wutschnaubender Entrüstung das deutsche Volk sein Gestammel begrüsst.

* * *

Vorgestern unseren Gesandten besucht und mit ihm von den Möglichkeiten des Friedens gesprochen. Ich setzte ihm auseinander, dass Österreich-Ungarn kein Interesse mehr daran haben könne, die durch die deutschen Annexionisten bewirkte Verlängerung des Kriegs mitzumachen. Das reiche und durch die Einheit des nationalen Ideals gefestigte Deutschland kann den Krieg mit Aussicht auf Erfolg noch lange führen, für Österreich-Ungarn liegen die Dinge anders. Jeder Tag der Kriegsverlängerung verschlimmert seine Lage. Es muss zur Beendigung des Kriegs mahnen, und würde dadurch nur die Lage des deutschen Reichskanzlers stärken. Im Grunde wird der Krieg heute nur mehr geführt, weil die Alldeutschen und Militaristen in Deutschland um ihre eigene Existenz kämpfen. Sie erkennen, dass es für sie heisst: jetzt oder nie, dass sie verloren sind, wenn der Krieg für Deutschland nicht Erfolge zeitigt, die der Opfer wert sind. Das kann aber nie mehr geschehen. Die Opfer sind zu gross geworden. Österreich-Ungarn hat kein Interesse daran, die schweren Folgen für seine Zukunft auf sich zu nehmen im Interesse einer mit den Zeitverhältnissen in Widerspruch stehenden reichs-deutschen Partei. Je länger der Krieg dauert, umso früher muss der Zeitpunkt eintreten, wo Deutschland alle seine Kräfte zu seiner eigenen Behauptung wird einsetzen müssen. Soll man so lange warten bis Österreich-Ungarn gezwungen sein wird, sich der zahlreichen Feinde, die ihm die Bundesgenossenschaft auf den Hals geladen, allein erwehren zu müssen? Unsere Staatsmänner hätten nichts anderes zu tun, als in Berlin auf Frieden zu drängen.

Ich glaube, dass ich verstanden worden bin.