Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Dezember.

Die Note, mit der dem Papst das Friedensangebot Deutschlands übermittelt wurde, enthält folgende, den Krieg verurteilende, Stelle:

«Die Gründe, die Deutschland und seine Verbündeten zu diesem Schritt bewogen, sind offenkundig. Seit zweieinhalb Jahren verwüstet der Krieg den europäischen Kontinent. Unendlich viele Kulturwerke sind vernichtet, weite Flächen mit Blut getränkt. Millionen tapferer Krieger fielen im Kampf, Millionen kehren in schwerem Siechtum in die Heimat zurück, Schmerz und Trauer erfüllen fast jedes Haus. Nicht bei den Kriegführenden allein, auch bei den Neutralen lasten die verheerenden Folgen des gewaltigen Ringens schwer auf den Völkern. Handel und Wandel, mühsam in Jahren des Friedens aufgebaut, liegen darnieder. Die besten Kräfte der Völker sind der Schaffung nutzbringender Werke entzogen. Eine sonst der Ausbreitung von Religion und Kultur und der Lösung sozialer Probleme gewidmete Stätte, eine Stätte für Wissenschaft und Kunst und für jede friedliche Arbeit, gleicht einem einzigen Kriegslager, in dem die Errungenschaften und die Arbeit vieler Jahrzehnte der Vernichtung entgegengehen.»

Das ist eine schöne Klage über den Wahnsinn des Kriegs. Nur hätte man diese Einsicht vorher haben müssen. Eine Regierung, die dem Volk den Krieg als etwas Göttliches dargestellt hat, von der jene Kreise begünstigt wurden, die sich als die Hohepriester des Kriegs gaben, jene unterdrückt wurden, die für die Beseitigung der Kriege wirkten, darf jetzt nicht solche Tränen vergiessen, wenn sie nicht ganz offen eingesteht, dass sie sich geirrt habe und fortab eine Politik des Pazifismus führen werde. Hingegen aber jetzt noch mit der Phrase zu kommen «Deutschland führt einen Verteidigungskrieg gegen die Vernichtungsarbeit seiner Feinde», wie es in der Papstnote heisst, das sollte man doch füglich unterlassen. Deutschland ist an diesem Krieg nicht unschuldig. Es ist der Hauptschuldige! — —

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Die bis jetzt bekannt gewordenen Pressestimmen aus Frankreich, England, Italien lehnen den Friedensantrag höhnisch ab, freigebig das Blut der Andern verspritzend. Allerdings sind es nur Havas- und Reutermeldungen. Sicher gibt es auch noch Blätterstimmen, die ernster auf die Sache eingehen. Doch von denen erfährt man noch nichts. Auch die deutsche Presse ist keineswegs auf der Höhe der Situation. Ihre Äusserungen sind zumeist auf den Ton gestimmt, dass den Andern eine gnädige Wohltat erwiesen werde, wenn man ihnen den Frieden gewährt. «Sind die Andern nicht bereit, — uns trifft keine Schuld. Dann werden wir eben weiterkämpfen, notgedrungen aber trotzdem nicht zaghafter, mit einer Erbitterung, die der gerechte sittliche Zorn uns eingibt » so heisst es im «Neuen Stuttgarter Tagblatt». — Oh! mit dem «keine Schuld» ist es nicht so leicht getan. Selber kann man sich nicht freisprechen. Und wenn man das millionenmal wiederholt, wird es noch nicht wahrer. Und mit dem «gerechten sittlichen Zorn» höre man mir erst recht auf. Es ist wünschenswert, es wäre klug, wenn die Entente auf den Friedensvorschlag der Zentralmächte eingehen wollte. Wenn es aber die Staaten nicht tun, haben sie noch nicht eine sittliche Pflicht verletzt, noch nicht «alle Schuld», wie man es in Deutschland gern glauben machen will, für alles, was nun kommen muss, auf sich geladen. Auch sie kämpfen für ein Ziel, das ihnen hoch und begehrenswert erscheint, und für das sie das Leben ihrer Söhne einetzen. Wenn sie nicht sofort bereit sind, einzustimmen, nachdem der Gegner, der bisher alle Vorteile errungen hat, plötzlich «stop» ruft, dann sind sie deswegen noch keine Verbrecher, dann sind wir noch nicht berechtigt, alle Kulturrücksichten ausser acht zu lassen, oder gar die Augen zu verdrehen und im «gerechten Zorn» aufzuwallen. Der Krieg begann im Juli 1914, nicht heute. Damals war «gerechter Zorn» angebracht.

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Ich hoffe, dass der Weg der Vernunft, den Deutschland und seine Verbündeten einzuschlagen begonnen haben, trotz des Wutgeheuls und des Pharisäertums der Zeitungen, weiter beschritten wird. Wer da erwartet hat, die öffentliche Meinung der Entente werde mit Freudenschreien die Berliner Botschaft aufnehmen, kann nur ein Narr gewesen sein. Freundlichkeiten und frohe Zustimmungen werden wir kaum hören. Man wird froh sein müssen, wenn seitens der Regierungen keine direkte und jede weitere Verhandlungen sperrende schroffe Ablehnung kommt. Es sind zahlreiche Kräfte innerhalb der Welt der Gegner und der Neutralen jetzt gestärkt worden, und das Spiel dieser Kräfte wird vielleicht zum Ziel führen. Wenn auch zu Anfang ohne Erfolg, es wird der einmal in Gang gesetzte Apparat immer weiter funktionieren, er wird immer stärker werden, neue Kräfte auslösen und eines Tags sitzen die Feinde dann doch an einem gemeinsamen Tisch. Möge die berühmte Hetzpresse beider Gruppen bellen und beissen und den Weg zum Frieden verunreinigen, die Krisis ist da, sie zeigt auf ein Ende.