Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 3. Juli.

Die Glasgower Rede Lloyd George’s spricht vom Frieden, wie von einem weit entfernten Ding, von einem Zustand, der nach Jahren kommen mag. Über die England durch den Unterseebootkrieg drohenden Gefahren setzt er sich mit zuversichtlichen Redewendungen hinweg:

«Denn nach sehr sorgfältigen Berechnungen der Aussichten und Möglichkeiten ist die Regierung zu dem Schluss gekommen, dass die Unterseeboote uns weder in der Heimat aushungern, noch unsere Heere über See von den Schlachtfeldern verdrängen können.»

Und doch kann man in dieser Rede einen gewissen Friedenshauch spüren, wenn man will. Sie klingt zum Schluss wie eine Aufforderung an die deutsche Regierung, ob sie gewisse, in Deutschland aufgestellte Friedensbedingungen akzeptiere. «Wer sagt das?» fragt Lloyd George, «kein deutscher Staatsmann hat je so etwas gesagt.» — Das sieht so aus, als wollte er eine offizielle Bestätigung jener Friedensbedingungen hören.

In Stettin und Düsseldorf scheinen arge Krawalle gewesen zu sein. Es wurde nichts darüber berichtet, aber die Ausdrücke des Bedauerns in der Stettiner Stadtverordnetenversammlung, die Berichte über die in Düsseldorf gefallenen schweren Urteile, die ein ad hoc zusammenberufenes außerordentliches Kriegsgericht ausgesprochen habe, lassen erkennen, dass es sich nicht um patriotische Demonstrationen gehandelt hat. Der nächste Winter wird die Zuchthäuser füllen, wenn er das Volk nicht noch ärgere Durchhaltemittel wird verspüren lassen. Ein, wohlweislich nicht genannter, «Berliner Diplomat» spricht in der «Neuen Freien Presse» (Telegramm der N. Z. Z. vom 1. Juli) von dem nächsten Kriegswinter als von einer feststehenden Tatsache. «Die Völker der Zentralmächte», meint er, «werden sicherlich auch den vierten Kriegswinter überwinden.» Sicherlich? Vom bequemen Klubfauteuil aus hat auch ein vierter Kriegswinter keine Schrecken. Der anonyme Diplomat möge doch einmal «die Völker der Zentralmächte» selbst darüber reden lassen. Sie wollen Frieden und keine starrköpfige Versteifung auf wertlose kriegerische Trophäen und Prestige-Gesichtspunkte. Und sie wissen, dass sie Frieden haben könnten, wenn das zum Tod verurteilte alte Regime des Feudalismus ehrlicher Volksherrschaft weichen würde. Harden sagt es wieder einmal in seiner «Zukunft» (30. VI.):

«Das Ziel der uns feindlichen Völker ist: Demokratie, Selbstbestimmungsrecht jedes zu eigner Lebensform reifen Stammes, redliche, nicht nur den Schein wahrende Minderung der Wehrlast, Schiedsgerichtsordnung, der auch alle der Schuld, großer oder kleiner, am Ausbruch des Kriegs Verdächtigen sich zu unterstellen und für deren Vollstreckergewalt alle in den Bund zivilisierter Völker zugelassenen Staaten zu bürgen hätten; ein Zustand, der dem Recht gegen den Übermut der Gewalt Waffen leiht, das Wagnis eines Angriffs mit Lebensgefahr bedroht, die Entscheidung, ob Frieden bleiben, oder Krieg werden soll, dem Willen eines Sterblichen enthebt und der Volksgemeinschaft aufbürdet, das Hoheitsrecht aller Reiche durch das Zugeständnis internationaler Aufsicht ungefähr so eng eingittert, wie der vom Staat schon anerkannte Sozialismus das Hoheitsrecht des Einzelnen eingezäunt hat sieht Deutschland über diesem Ziel die großen Himmelszeichen der Zeit leuchten, dann ist, da über alles andere Verständigung leicht möglich wurde, der Frieden morgen erlangbar.»