Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 1. Mai.

Weltfeiertag! Friedenstag des Proletariats. Wird in Österreich mit großem Nachdruck gefeiert. Die Wiener «Arbeiter-Zeitung» vom 27. April veröffentlicht den Aufruf zur Arbeitsruhe am 1. Mai in fetten Lettern an der Spitze des Blatts:

«. . . dass die Welt von dem Krieg, der tobt, erlöst werde und vor einer Wiederkehr dieser grausamen Prüfung für immer bewahrt bleibe.»

Der Aufruf wurde vom offiziellen Telegraphen-Bureau in die Welt hinaus telegraphiert, Hinter den Arbeitern steht diesmal die Regierung. Wo stand sie, als die Arbeiter an diesem Tag für die Verhütung des Kriegs demonstrierten? Damals, als es noch Zeit war?

Man will in Wien den Frieden, macht aber dabei Fehler auf Fehler. Einer der schlimmsten, dass man die offiziösen Tagschreiber als Friedensfanatiker auftreten lässt. Wie abstoßend wirkt es z. B., wenn das Wiener «Fremdenblatt» sagt:

«wir wollen den Frieden, nicht weil wir uns am Rande des Abgrunds fühlen. Wir wollen ihn, weil wir nicht wollen, dass die gesamte Menschheit sich verblute. »

Die Menschheit!! Man muss doch aus rein ästhetischem Empfinden es vermeiden, solche ausgespieene Floskeln anwenden zu lassen in einem Organ, das die 2 3/4 Jahre mit Hurrah-Gebrüll durch dick und dünn ging. Auf einmal «Die Menschheit»!

Wer für den Frieden der neuen Zeit eintreten soll, muss rein dastehen.

Was wohl in Deutschland vorgeht? Seit fünf Tagen ist die Grenze gesperrt, und auch die Zeitungen bleiben aus.