Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 9. Februar.

In der Nacht vom 30. zum 31. Januar ist Paris von mehreren deutschen Luftgeschwadern bombardiert worden.

Die Zahl der Opfer ist groß, auch sonst scheinen die Vernichtungen an Häusern, Straßen und öffentlichen Gütern nicht gering gewesen zu sein. Zu dem traurigen Vorgang liefert nun eine Wolff-Depesche vom 8. Februar folgenden Kommentar:

«Deutsche Bombengeschwader griffen in der Nacht vom 30. zum 31. Januar zum erstenmal planmäßig kraftvoll die Stadt Paris an. Der Angriff war erfolgreich. Verluste und Schäden waren nach amtlichen französischen Berichten stark. Die Strafe, die die Stadt Paris damit erduldete, war hart aber gerecht. Schon vor einem Vierteljahr warnten wir Frankreich durch Funkspruch, die Bombenangriffe gegen offene deutsche Städte weit außerhalb der Operationsgebiete fortzusetzen. Wir drohten, dass, falls diese Luftangriffe nicht aufhörten, Paris die Strafe zu tragen habe. Frankreichs Regierung hörte nicht. Am heiligen Weihnachtsabend überfielen feindliche Flieger die offene Stadt Mannheim. Sie griffen im Laufe des Januars die offenen Städte Trier, Heidelberg, Karlsruhe, Rastatt, Freiburg in zweckloser Weise mit Bomben an. Die Stunde der Strafe war gekommen. Frankreich ist abermals gewarnt, nicht mehr durch Worte, sondern durch Taten. Sollte auch diese warnende Strafe unbeachtet bleiben, sollten wiederum friedliche deutsche Heimstätten durch feindliche Fliegerbomben zu leiden haben, so wird die Stadt Paris erneut die vergeltende Strafe zu erdulden haben, in dem Umfang und in der Stärke, wie sie rückfälligen Verbrechern gegenüber am Platze ist.»

Dieses Dokument hier aufzubewahren erscheint mir von höchster Wichtigkeit. Legt es doch Zeugnis ab für die höchstgradige Gemeingefährlichkeit der militaristischen Mentalität. Die es verfasst und veröffentlicht haben meinen vielleicht, ein patriotisches Werk getan zu haben. Sie stellen sich vor, dass ihre Drohung nunmehr alle

Ententeflieger abhalten wird, jemals wieder deutsche Städte zu bombardieren. Sie ahnen vielleicht nicht, dass die Art ihrer Drohung gerade das Gegenteil hervorrufen muss. Wie kann eine Nation, die etwas auf ihre Ehre hält, eine derartige Abkanzelung und Zurechtweisung sich gefallen lassen, wie sie Oberlehrer gegen Schuljungen anwenden. Die Verfasser jener Drohnote hätten sich ja nur die Frage vorzulegen brauchen, was von deutscher Seite geschehen würde, wenn ein Gegner es versuchen sollte, mit solch läppischen Drohungen und in so brüskierender Weise die deutschen Flieger einzuschüchtern. Ein Entrüstungssturm würde sich erheben, und man würde verlangen, dass ein neuer Raid den Feinden den Beweis liefere, dass man nicht gesonnen ist, sich solche Behandlung gefallen zu lassen. Und ebenso wird dieses saubere Manifest auf die Franzosen wirken, die damit gleichsam auf deutsche Städte gehetzt werden.

Wenn es den deutschen Machthabern ernst darum zu tun wäre, das Bombardement offener deutscher Städte (und für das Bombardement von oben sind ja alle Städte offen) in Zukunft zu verhindern, dann hätten sie, statt mit solch törichten und herausfordernden Strafandrohungen gegen den Gegner, offen mit dem Vorschlag zu einem Abkommen hervortreten müssen, das einfach allen Kriegführenden den Verzicht auf das Bombenwerfen von Luftfahrzeugen auferlegt. Das wollen aber die Militaristen nicht. Sie wollen nicht verzichten und heucheln die Entrüstung über den Gegner, der Gleiches mit Gleichem erwidert. Und sie glauben, der Welt imponiert es, wenn sie den Gegner als den Verbrecher hinstellen, sich selbst aber die Rolle lichter Engel reservieren, denen das schwere Werk der strafenden Gerechtigkeit zufällt.