Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 18. August.

Dr. Helfferich, der diese Lüge kennt, der sie von Anfang an mitmacht, hat den Mut, in einem Interview dem Berliner Korrespondenten des «Villag» (Abgedruckt N. Z. Z. 17. August) zu sagen:

«In der Grausamkeit des furchtbarsten Ringens, das die Menschheit je erlebt hat, steht uns das gute Gewissen zur Seite. Vor dem Krieg und während des Kriegs haben wir den Gegnern die Wahl gelassen

zwischen unsrer Hand und unsrer Faust. Sie haben die Faust gewählt.»

Das gute Gewissen! — Die Wahl gelassen! —

Die Note des Papstes zu Gunsten des Friedens, die das Datum des 1 . August trägt, ist vorgestern veröffentlicht worden. Vielleicht ist es kein Zufall, wenn sie just am Vorabend des ersten, als Herrscher begangenen Geburtstag Kaiser Karls erfolgte. (Jenen Geburtstag, den das Wiener Korr.-Bureau dadurch entweiht, dass es in die Welt hinaus telegraphiert, dem Kaiser «schwebt kein höheres Ideal als die Vergrößerung seines schon gewonnen kriegerischen Ruhms vor». Der junge Kaiser, der von modernen Ideen erfüllt sein soll, wird sich hoffentlich diese nach altem und ältestem Stil frisierte Speichelleckerbande bald vom Hals schaffen). Wenn das katholische Österreich und das Zentrum des deutschen Reichstags wirklich diese Papstnote veranlasst und beeinflusst haben, wie die Ententepresse behauptet, so erscheint diese sehr bedeutungsvoll. Denn dann macht Deutschland Konzessionen, die es bislang nicht gemacht hat, erklärt es sich bereit, Belgien frei zu geben und — gerade das Gegenteil zu den Erklärungen des Herrn Spahn im Reichstag — es wirtschaftlich, politisch und militärisch unabhängig zu machen, über Elsaß-Lothringen zu unterhandeln u. a. m. Die auf die Note zu erwartenden Antworten können entscheidend sein. Wenn Deutschland und Österreich-Ungarn die Papstnote tel quel annehmen, so vermag die Entente den Krieg nicht mehr weiter zu führen.

Sehr wichtig ist es, dass in der Note an erster Stelle die künftige Organisation der Staatsgewalt gestellt ist, das als « grundlegender Punkt» der alte Not- und Hilfeschrei des internationalen Pazifismus vorgebracht wird, die Ersetzung «der materiellen Gewalt der Waffen durch die moralische Kraft des Rechts». Bisher haben wir bei den Kundgebungen aus den Zentralmächten, sei es durch Staatsmänner oder Sozialisten, immer nur die materiellen Friedensbedingungen vornean gestellt gesehen, und nur ganz vage, von wenig Verständnis zeugende Phrasen wie «Schiedsgericht» oder «Verständigung» wurden hintenangesetzt als verzierender Schnörkel. Wir haben zwar das Hoffen verlernt, aber dennoch — vielleicht gelingt es Rom, was in Stockholm vereitelt wurde.