Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 6. September.

Heute vor zehn Jahren wurde der Friede von Portsmouth geschlossen. In einem Artikel, den ich heute darüber in der «Neuen Zürcher Zeitung» veröffentliche, weise ich auf jenes Ereignis hin und suche die Lehren daraus für die Gegenwart zu ziehen. Man glaubte damals ebensowenig an die Möglichkeit eines Friedensschlusses wie heute, und die Militärs (ich zitiere in meinem Artikel eine solche Stimme) sagten noch am Vorabend des Friedensschlusses, dass der Krieg ausgefochten werden müsse und noch mindestens 1 1/2 Jahre dauern würde. Welche Erleichterung aber der Friede brachte, der einem Krieg ein Ende gemacht hat, der in keiner Weise so einschneidend und vernichtend wirkte wie der gegenwärtige, geht aus der Depesche hervor, die Kaiser Wilhelm damals an Roosevelt richtete. Es heisst darin: «Die ganze Menschheit wird sich vereinen, Ihnen zu danken ... für die grosse ihr erwiesene Wohltat». Man kann sich danach vorstellen, wie gross der Dank der Menschheit demjenigen gegenüber sein wird, der dem jetzigen Krieg ein Ende bereiten wird.

Wird dies bald der Fall sein? Ich habe mich in meinen Hoffnungen schon oft getäuscht, und meine Eintragungen in diesem Tagebuch geben davon Zeugnis. Trotzdem kann ich auch jetzt meine Hoffnungen nicht unterdrücken. Es scheint wirklich etwas vorzugehen. Der Gedankenaustausch zwischen Berlin und London, der amerikanisch-deutsche Ausgleich deuten mir etwas an. Es kann, ehe der Winter hereinbricht, zum Friedensschluss kommen.

Man behandelt den deutsch-amerikanischen Ausgleich in der deutschen Presse nicht vom richtigen Gesichtspunkt aus. Man triumphiert nicht über den Sieg der Vernunft, sondern sieht die Sache vom Nützlichkeitsstandpunkt an. Danach wäre es unter den gegenwärtigen Umständen, namentlich im Hinblick auf die Zuspitzung der Balkanangelegenheiten, eben das Klügere gewesen, nachzugeben. Richtiger würde es aber sein, zu betonen, dass ein friedlicher Ausgleich unter allen Umständen ein Erfolg ist, nicht erst wenn die Not einen dazu zwingt. Mit der Zusage, Passagierdampfer nur gegen vorherige Ankündigung zu torpedieren, so dass den Passagieren die Möglichkeit zur Rettung gegeben wird, hat sich Deutschland gar nichts vergeben, sondern nur eine Selbstverständlichkeit zugesichert, deren Befolgung keinerlei Nachteile nach sich zieht. Bedauern werden diesen Beschluss der Reichsregierung nur jene Gelehrten und Journalisten, die vorher das unbedingte moralische und juristische Recht der Regierung auf unbeschränkte Schiffsversenkung zu beweisen gesucht haben.

Sehr bedeutende Worte hat der frühere Staatssekretär Dernburg am 1. September bei der Gründung des «Deutschen Wirtschaftsverbandes für Südamerika» gesprochen. Er sagte u.a.:

«Wir hoben die Psyche der Südamerikaner nicht verstanden, aber nicht nur der Südamerikaner, und finden daher häufig zu wenig Freunde unter den Neutralen. Es ist ein Fehler zu sagen, dass daran nur Neid und Missgunst unserer Feinde schuld seien, denn wir selbst haben oft durch unser Vorgehen diese Psyche beleidigt. Die Energie und Tatkraft Deutschlands sind gewiss ausserordentlich, den romanischen und angelsächsischen Völkern gefällt es aber nicht, dies stets empfinden zu müssen. Deshalb müssen wir uns selbst mehr auf sie einstellen und die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in einer Weise bei ihnen einführen, die uns nicht taktlos als die Gelehrteren und Klügeren hinstellt. Hierin ist oft gesündigt und das Ausland in unseren Augen als die zweite Klasse hingestellt worden, die noch viel zu lernen habe. Wenn dies auch an manchen Stellen an sich richtig sein könnte, so ist es doch falsch, wie es gesagt wurde. Und wir haben es nicht nötig, in dieser Weise Reklame für uns zu machen. Mit je weniger Überhebung wir unseren wissenschaftlichen Einfluss geltend machen, umsomehr Freunde werden wir uns erwerben. Und noch eines dürfen wir gerade jetzt nicht vergessen, wir sind im Kriege, sind von allen Seiten angegriffen, und müssen uns oft grob wehren, aber wir müssen uns hüten, diese Methode in den Frieden zu übertragen. Nur zu oft lassen unsere Kaufleute dem Ausland gegenüber ein freundliches Entgegenkommen vermissen, was besonders bei Romanen ins Gewicht fällt. Nicht als Lehrmeister sollen wir ihnen gegenübertreten, sondern als Freunde. Wenn wir das nicht tun, laufen uns unsere Gegner den Rang ab; nicht trotz, sondern wegen unserer Tüchtigkeit».

Diese Worte sind von höchster Bedeutung. Sie sind zu verallgemeinern und nicht nur auf Südamerika zu beziehen, sondern auf das Verhalten dem gesamten Ausland gegenüber. Vielleicht geben sie auch den Schlüssel für die europäische Politik der Vergangenheit. Haben wir die Psyche der Franzosen und Engländer richtig verstanden und haben unsere Diplomaten es nicht auch wie die Kaufleute an freundlichem Entgegenkommen fehlen lassen? Ist das Blutbad Europas nicht letzten Endes diesem Missverstehen zu verdanken? — Wie es auch sei! Für die Zukunft gibt diese Mahnung Demburgs wichtige Fingerzeige.