Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 29. März.


«Es ist richtig, dass in dem russischen Gefangenenlager in Totzki infolge einer schweren Typhusepidemie im Winter 1915/16 eine erschreckend grosse Anzahl von Kriegsgefangenen — die Angaben schwanken zwischen 10 000 und 17 000 — gestorben sind.»

Diese Mitteilung enthält einen Brief, den Staatssekretär Dr. Zimmermann in Beantwortung einer Anfrage an einen deutschen Reichstagsabgeordneten richtete. Zehn bis siebzehntausend Menschen! Hat je ein Erdbeben soviel Menschen vernichtet, jemals eine andre Naturkatastrophe? Es ist richtig! Aber es ist eine Milderung vorhanden. In dem Brief heißt es weiter:

«Hierunter haben sich nach neueren Feststellungen nur etwa 450 Reichsdeutsche befunden, während der Rest auf österreichisch-ungarische Gefangene entfiel.»

Dieser Satz gibt mir viel zu denken.

«Es ist ferner zutreffend, dass die Leichen der Verstorbenen wegen des hartgefrornen Bodens zum Teil nicht sogleich der Erde übergeben werden konnten und vor dem Lager aufgeschichtet, längere Zeit unbestattet liegen geblieben sind.»

Seltsam, wie höflich hier der offizielle Stil ist. «Längere Zeit unbestattet». Hundeartig wäre hier wohl kennzeichnender. Aber man war sehr milde gegen Russland. Am Schluss des Briefes wird wirklich etwas Tröstliches bekannt gegeben.

«Nach Mitteilungen der erwähnten Roten - Kreuz-Schwester ist der durch seine Nachlässigkeit für die verhängnisvolle Ausbreitung der Seuche im Totzki-Lager in erster Linie verantwortliche damalige Lagerkommandant zu schwerer Zuchthausstrafe verurteilt worden.»

Das beweist, dass die Russen doch nicht jene Barbaren sind, als die sie uns geschildert werden. Dass man diese Bestrafung genugtuend von deutscher Seite meldet, ist auch erfreulich. Die bösen Engländer berichteten, dass jener Oberstabsarzt, dem sie die Schuld an der großen Typhus-Epidemie im Wittenberger-Lager zuschrieben, durch einen Orden ausgezeichnet wurde. Unerhört!