Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 2. Dezember.

Vier Monate des Kriegs. — Man hat sich früher den Stand der Dinge um diese Zeit doch anders vorgestellt. Man glaubte, zu Weihnachten würde der Höhepunkt überschritten sein. Wir stehen aber immer noch am Anfang. Allerdings stehen wir vor grossen Entscheidungen. In Flandern und in Polen können sie stündlich fallen. Vielleicht noch heute. Der 2. Dez. ist ohnehin ein geschichtliches Datum.

Ein Brief von Vinzenz aus Wien, der viel Interessantes enthält und eine starke Beurteilungsgabe mit wundervollem Humor paart, enthält u. a. eine sehr richtige Bemerkung. «Die Leute», so schreibt er, «reden sich ein, dass, wenn der Krieg zu Ende ist, das Leben wieder so weiter gehen wird, wie es vor dem Krieg gewesen ist.» — Das ist in der Tat die allgemeine Meinung und wird die grosse Täuschung bilden. Nein, das Leben kommt nie mehr so, wie es gewesen ist. Es wird etwas andres kommen, völlig Neues, in das man sich erst wird hineinleben müssen. Und nicht nur die Situation wird eine andre sein, auch neue Menschen werden dastehen, die den alten den Platz streitig machen werden. Ganz abgesehen von den vielen, die nicht mehr da sein werden. In jedem Falle, mit dem Friedensschluss hört der Krieg noch nicht auf. Er fängt damit nur an, zu Ende zu gehen.